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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Autoren: Donald Ray Pollock
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Prediger hinüber, der schief lächelte und zögernd zustimmend nickte. »Und nun lasst uns den Heiligen Geist in diese kleine Kirche rufen, oder, so schwöre ich, bei dem Versuch zugrunde gehen.« Bei diesem Stichwort legte der fette Kerl auf der Gitarre los, und Bruder Roy lehnte sich zurück und gab einen hohen, fürchterlichen Schmerzensschrei von sich, der so klang, als wolle er die Himmelstore eigenhändig aus den Angeln rütteln. Die halbe Gemeinde fiel fast von den Bänken. Willard musste kichern, als er seine Mutter neben sich aufschrecken spürte.
    Der junge Prediger ging den Mittelgang auf und ab und fragte die Menschen mit lauter Stimme: »Wovor habt ihr am meisten Angst?« Er fuchtelte mit den Armen und beschrieb die Widerwärtigkeiten der Hölle – den Schmutz, den Schrecken, die Verzweiflung – und die Ewigkeit, die sich endlos vor einem erstreckte. »Wenn eure größte Angst Ratten sind, dann wird Satan dafür sorgen, dass ihr genug davon bekommt. Brüder und Schwestern, sie werden euch die Gesichter abnagen, während ihr daliegt und nicht den kleinsten Finger gegen sie rühren könnt, und es wird nie aufhören. Eine Million Jahre in der Ewigkeit sind nicht mal ein Nachmittag hier in Coal Creek. Versucht gar nicht erst, das auszurechnen. Kein menschlicher Verstand ist groß genug, um so viel Elend zusammenzuzählen. Wisst ihr noch, die Familie drüben in Millersburg, die letztes Jahr im Schlaf ermordet wurde? Denen ein Irrer die Augen ausgestochen hat? Stellt euch das eine Billion Jahre lang vor – das ist eine Million mal eine Million, Leute, ich hab das nachgeschaut –, stellt euch vor, so gefoltert zu werden, ohne jemals zu sterben. Man schneidet euch die Augen aus dem Kopf, mit einem blutigen schartigen Messer, immer und immer wieder, in alle Ewigkeit. Ich hoffe nur, die armen Leute waren eins mit dem Herrn, als der Irre durchs Fenster kletterte, das hoffe ich wirklich. Doch ganz ehrlich, Brüder und Schwestern, wir können uns gar nicht ausmalen, welche Wege der Teufel einschlägt, um uns zu quälen, kein Mensch war je böse genug, nicht mal dieser Hitler, um an die Art heranzureichen, mit der der Satan die Sünder am Tag des Jüngsten Gerichts büßen lässt.«
    Während Bruder Roy predigte, behielt Bruder Theodore einen Rhythmus bei, der zum Fluss der Worte passte, und verfolgte die Bewegungen des anderen genau. Roy war sein Cousin mütterlicherseits, doch manchmal wünschte sich der fette Bursche, sie wären nicht so eng miteinander verwandt. Er war zwar zufrieden damit, das Wort Gottes mit Roy zu verbreiten, doch hegte er schon seit Langem Gefühle, die er nicht einfach wegbeten konnte. Er wusste, was die Bibel dazu sagte, aber er konnte nicht verstehen, warum der Herr solch einen Gedanken für Sünde hielt. Liebe war Liebe, so sah er das jedenfalls. Verdammt, hatte er denn nicht bewiesen, hatte er Gott denn nicht gezeigt, dass er ihn mehr liebte als sonst jemanden? Er hatte dieses Gift geschluckt, bis er zum Krüppel geworden war, hatte dem Herrn gezeigt, dass er den rechten Glauben hatte, auch wenn ihm manchmal der Gedanke kam, dass er vielleicht ein wenig zu übereifrig gewesen war. Doch nun hatte Theodore Gott, er hatte Roy, und er hatte seine Gitarre, mehr brauchte er nicht in dieser Welt, auch wenn er vielleicht nie wieder aufrecht stehen konnte. Und wenn Theodore Roy beweisen musste, wie sehr er ihn liebte, dann würde er das gern tun, alles, was er nur wollte. Gott war die Liebe; und ER war überall und in allem.
    Dann sprang Roy zurück zum Altar, griff unter Bruder Theodores Rollstuhl und zog ein großes Einmachglas hervor. Alle beugten sich auf ihren Bänken vor. Eine schwarze Masse schien in dem Glas zu brodeln. »Preiset den Herrn«, rief jemand, und Bruder Roy sagte: »Ganz recht, mein Freund, ganz recht.« Er hielt das Glas in die Höhe und schüttelte es heftig. »Freunde, ich sage euch etwas«, hob er an. »Bevor ich den Heiligen Geist fand, hatte ich eine Heidenangst vor Spinnen. Stimmt’s, Theodore? Seit ich noch am Rockzipfel meiner Mutter hing. Spinnen krabbelten mir durch den Schlaf und legten ihre Eier in meinen Albträumen ab; ich konnte nicht mal aufs Plumpsklo, ohne dass jemand meine Hand halten musste. Überall baumelten sie in ihren Spinnweben und lauerten auf mich. Ein fürchterliches Leben, die ganze Zeit Angst zu haben, Tag und Nacht, ganz egal. Und genau so ist die Hölle, Brüder und Schwestern. Nie hatte ich meine Ruhe vor diesen achtbeinigen Teufeln.
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