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Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels

Titel: Das Handwerk des Teufels - Pollock, D: Handwerk des Teufels
Autoren: Donald Ray Pollock
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empfindlich er in Wirklichkeit war. Am meisten bedauerte er, all die Orden verpasst zu haben. Sein alter Herr hatte mal eine Urkunde dafür bekommen, in zwanzig Dienstjahren nicht einen einzigen Tag versäumt zu haben, und die hatte er seinem kränklichen Sohn die nächsten zwanzig Jahre unter die Nase gehalten. Als den alten Herrn endlich das Zeitliche segnete, hatte der Busfahrer versucht, seine Mutter dazu zu überreden, die Urkunde mit in den Sarg zu legen, um sie sich nicht länger anschauen zu müssen. Doch sie bestand darauf, sie weiter im Wohnzimmer hängen zu lassen, als Beispiel dafür, was ein Mensch im Leben leisten konnte, wenn er sich nicht durch ein wenig Verstopfung davon abhalten ließ. Die Beerdigung, ein Ereignis, auf das sich der Busfahrer seit Langem gefreut hatte, wurde durch die Streiterei um das verdammte Stück Papier beinahe völlig verdorben. Er war froh, diese dummen entlassenen Soldaten nicht mehr ständig vor der Nase zu haben, wenn sie endlich ihre Heimatziele erreicht hatten. Anderer Leute Ruhmestaten gingen einem nach einer Weile ganz schön auf die Nerven.
    Gefreiter Willard Russell hatte hinten im Bus mit zwei Seeleuten aus Georgia getrunken, doch der eine war ohnmächtig geworden, und der andere hatte in ihren letzten Krug gekotzt. Willard dachte, wenn er jemals nach Hause käme, würde er Coal Creek, West Virginia, nie wieder verlassen. Er hatte ja schon in den Bergen, in denen er aufgewachsen war, einige üble Dinge miterlebt, aber nichts davon reichte auch nur im Ansatz an das heran, was er im Südpazifik erlebt hatte. Auf einer der Salomonen-Inseln waren ein paar Männer seiner Einheit und er auf einen Soldaten gestoßen, den die Japaner bei lebendigem Leibe gehäutet und dann an ein Kreuz aus zwei Palmen genagelt hatten. Der rohe, blutige Leib war mit schwarzen Fliegen übersät gewesen. Seine Hundemarke hatte an den Resten seines großen Zehs gebaumelt: Gunnery Sergeant Miller Jones. Willard, der nichts mehr für ihn tun konnte, außer ihn zu erlösen, schoss dem Mann hinter dem Ohr eine Kugel in den Kopf, dann nahmen sie ihn ab und bedeckten ihn am Fuß des Kreuzes mit Steinen. Willards Verstand war seitdem nicht mehr derselbe.
    Als er den untersetzten Busfahrer etwas von einer Pause rufen hörte, stand er auf und ging zur Tür; er hatte genug von den beiden Seeleuten. Seiner Meinung nach war die Marine ein Teil des Militärs, dem das Trinken verboten gehörte. In den drei Jahren, in denen er gedient hatte, war er nicht einem einzigen Schwabber begegnet, der ordentlich was vertragen konnte. Jemand hatte mal zu ihm gesagt, das würde an dem Salpeter liegen, das man an die Seeleute verfütterte, damit sie nicht verrückt wurden und übereinander herfielen, wenn sie auf hoher See waren. Willard verließ den Busbahnhof und entdeckte ein kleines Restaurant namens
Wooden Spoon
auf der anderen Straßenseite. Im Fenster hing eine weiße Pappe, auf der das Spezialmenü angeboten wurde, Hackbraten für fünfunddreißig Cents. Willard hielt das für ein gutes Omen: Am Tag bevor er eingezogen worden war, hatte seine Mutter ihm einen Hackbraten gemacht. Er setzte sich in eine Nische am Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Rings um den Raum lief ein Wandregal voll alter Flaschen, altmodischem Küchengerät und rissiger Schwarz-Weiß-Fotos; auf allem hatte sich der Staub abgesetzt. An die Wand neben seiner Sitznische war ein verblichener Zeitungsausschnitt geheftet worden, in dem von einem Polizeibeamten aus Meade berichtet wurde, der vor dem Busbahnhof von einem Bankräuber niedergeschossen worden war. Willard sah genauer hin und entdeckte das Datum: 11. Februar 1936. Vier Tage vor seinem zwölften Geburtstag, rechnete er aus. Der einzige andere Gast im Diner, ein alter Mann, beugte sich über seinen Tisch mitten im Raum und schlürfte eine grüne Suppe. Sein Gebiss lag auf einem Stück Butter vor ihm.
    Willard rauchte zu Ende und wollte gerade wieder gehen, als endlich eine dunkelhaarige Kellnerin aus der Küche kam. Sie schnappte sich eine Speisekarte vom Stapel neben der Kasse und reichte sie ihm. »Tut mir leid«, sagte sie, »ich habe Sie nicht hereinkommen hören.« Er sah ihre hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die langen, schlanken Beine, und als sie ihn fragte, was er denn essen wolle, stellte Willard fest, dass er einen ganz trockenen Mund hatte. Er bekam kaum ein Wort heraus. So etwas war ihm noch nie passiert, nicht mal in den schwersten Kämpfen auf
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