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Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen
Autoren: Evelyn Sanders
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und blendend erholt, fand er mich mit durchgeistigter Stubenhockerblässe an seinem Schreibtisch sitzend, um mich herum Notizzettel, Fotos und vierundsechzig vollgeschriebene Manuskriptseiten.
    »Bist du wahnsinnig geworden? Ich hab dir doch schon hundertmal gesagt, daß du meinen Schreibtisch nicht aufräumen sollst!«
    »Hab ich ja gar nicht! Ich habe ihn lediglich seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt und daran geschrieben. Du benutzt ihn ja doch bloß als Müllcontainer!«
    Inzwischen hatte er das Manuskript entdeckt und zu lesen angefangen. »Was soll denn das werden? So eine Art Lebensbeichte?«
    »Quatsch! Biographien sind Dichtungen, geschrieben von Leuten, die die Wahrheit kennen. Ich hab bloß mal ein bißchen zusammengefaßt, was wir damals alles in Heidenberg erlebt haben, quasi eine Gedächtnisprothese für die Kinder.«
    »Wieso nur für die Kinder? Da hätten andere Leute bestimmt auch ihren Spaß dran.« Er hatte sich in einen Sessel gesetzt und in das Manuskript vertieft. Plötzlich lachte er laut auf. »Du, das ist ja direkt druckreif!«
    Ich fühlte mich geschmeichelt. Immerhin war er ein paar Jahre lang Chefredakteur einer Jugendzeitung gewesen und hatte ein bißchen Ahnung von der Materie.
    »Natürlich muß man hier und da noch etwas ändern, an manchen Stellen raffen – wenn ich Zeit habe, werde ich mich mal damit beschäftigen.«
    Erstens hatte er nie Zeit, und zweitens… »Du wirst überhaupt nichts daran tun! Das wird mein Geburtstagsgeschenk für Sven, und das mache ich allein fertig. Von dir kriegt er ja den Führerschein. Da ist übrigens eine Mahnung von der Fahrschule gekommen, du hast die zweite Rate, noch nicht bezahlt.«
    »Wieso bin ich eigentlich verpflichtet, meinem Sohn die Fahrstunden zu bezahlen? Meine eigenen hat mir auch niemand finanziert.«
    »Soweit ich mich erinnern kann, war das deine Idee!«
    »Da muß ich besoffen gewesen sein!«
    Ehemännern soll man nur im äußersten Notfall widersprechen. »Du meinst also, ich soll die Geschichte fertig schreiben?«
    Offenbar interessierte ihn das aber schon nicht mehr. »Warum nicht?« sagte er im Hinausgehen. »Wenn’s dir Spaß macht. Wann gibt es übrigens Abendbrot?«
    Schriftsteller sind über so profane Dinge wie Essen und Trinken erhaben. Fast zwei Wochen lang hatte ich mich von Spiegeleiern, Toast und schwarzem Kaffee ernährt, dabei anderthalb Kilo abgenommen, und nun sah ich keine Veranlassung, diese Lebensweise wieder zu ändern. »Koch dir doch selber was, ich muß arbeiten.«
    Dann kamen nach und nach die Kinder zurück und mit ihnen Berge von schmutziger Wäsche. Das Bügeleisen hatte Hochkonjunktur, die Schreibmaschine Pause. Der Herbst ging vorüber mit Elternabenden, Svens Tanzstundenball, mit gesellschaftlichen Verpflichtungen, vor denen man sich nicht drücken kann, wo man vorher zum Friseur und hinterher zum Arzt muß, weil der Geflügelsalat verdorben gewesen war; dann nahte Weihnachten mit Nikolausfeiern, Plätzchenbacken und Verwandtenbesuch, und dann kam Svens achtzehnter Geburtstag. Auf dem Gabentisch lagen neben dem Führerschein ein gekaufter dunkelgrüner Pullover sowie der Gutschein für eine »Überraschung ideeller Art«, auf dessen Einlösungstermin ich mich nicht näher festlegen wollte. Sven war auch nicht sonderlich interessiert. Von Überraschungen hielt er ohnehin nicht viel, sie waren meist unerfreulicher Natur, und von ideellen hielt er schon gar nichts, die waren ihm zu abstrakt. Bald hatte er die ganze Sache vergessen.
    Rolf übrigens auch. Er kam nie wieder auf das Manuskript zu sprechen, und wenn er mich gelegentlich in Stefanies Zimmer auf der Maschine klappern hörte, dann verlor er kein Wort darüber. Zu meinen selbstverständlichen Pflichten gehörte auch die Familienkorrespondenz.
    Heute weiß ich nicht mehr, wie ich dieses Manuskript jemals zu Ende bringen konnte. Mal eine Stunde zwischen Staubsaugen und Kartoffelschälen, mal am Abend, wenn die Kinder im Bett waren und Rolf in seiner Stammkneipe mit anderen streßgeplagten Ehemännern über die Ungerechtigkeit der Welt klagte, in der den Vätern die Arbeit und ihren Frauen das Geldausgeben zugeteilt ist. »Meine Familie braucht keine Konsumentenberatung«, hatte er mal geäußert, »das sind lauter geborene Konsumenten.«
    Im Spätsommer, also fast vierzehn Monate nach Beginn meiner Schreiberei, war die Geschichte fertig. Ein recht umfangreiches Gedächtnisprotokoll, wie ich beim Durchblättern der fast zweihundert Seiten
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