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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen
Autoren: Andreas Moeller
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der Heisenberg-Schule, namentlich Carl Friedrich von Weizsäcker. 38
Kein Vorsprung durch Technik: Das deutsche Verständnis von „Bildung“
    Was ist von der wissenschaftlichen Entdeckung der Ganzheit geblieben? Und welche Rolle spielen Naturwissenschaften und Technik heute? Nicht nur Jünger, der Zoologie studierte hatte, sondern auch Autoren wie Döblin, Musil oder Benn begriffen sich als geistige Kinder des naturwissenschaftlichen 19. Jahrhunderts, das sie eine – mit Benn zu sprechen – Schärfe und Kälte des Blicks gelehrt hatte. Technik, Naturwissenschaft und Medizin waren der Grundstock der Neuen Sachlichkeit und das Fundament des wissenschaftlichen Selbstbewusstseins Deutschlands, das wie erwähnt Nobelpreisträger von Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) bis Werner Heisenberg (Nobelpreis für Physik 1932) hervorbrachte sowie weltweit herausragende Institute in Berlin oder Göttingen beheimatete.
    Zugleich hatten die Wissenschaften von der Natur und Technik mit dem Stigma zu kämpfen, dass sie zwar die mechanischen Eigenschaften der Natur zu deuten vermochten – nicht aber zum besseren, zum humaneren Menschen zu bilden in der Lage waren. Dies, so glaubte man vor allem nach der Weltkriegserfahrung, konnten allein die Künste und Geisteswissenschaften. Alfred Döblin schrieb im bereits zitierten Beitrag für die Neue Rundschau , dass die klassischen Naturwissenschaften „keinen geistigen Menschen von heute“ etwas angingen, sondern nur wichtig seien für die „Erzeugung von Gelbkreuzgasen, Unterwasserbooten und sonstigem technischen Fortschritt.“ 39 Unter den Zeitgenossen hat Robert Musil diese Tirade in Der Mann ohne Eigenschaften noch übertroffen, indem er die Mathematik als „Mutter der exaktenNaturwissenschaft, Großmutter der Technik, auch Erzmutter jenes Geistes [...], aus dem schließlich Giftgase und Kampfflieger aufgestiegen sind“, bezeichnete. 40
    In den letzten Jahren hat der Glaube an eine Universalwissenschaft, die synonym für eine ganzheitlich zu erfassende Welt steht, wieder Anhänger gewonnen. Nur einer von vielen Indikatoren dafür ist ein Buchprojekt des Jahres 2004. Seinerzeit brachte der Eichborn-Verlag in seiner Anderen Bibliothek einen aufwändigen Faksimile-Neudruck von Alexander von Humboldts Hauptwerk Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung aus dem Jahr 1847 heraus. Im Klappentext des Schubers legte Herausgeber Hans Magnus Enzensberger die Beweggründe für das Projekt dar, wobei er die grundlegende Bedeutung Humboldts für die Wirklichkeitsauffassung der Gegenwart und die ökonomische Zukunftsfähigkeit des Landes ausmachte:
    „Deutschland ist auf Alexander von Humboldt angewiesen, wenn es die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestehen will. […] Engbrüstige Spezialisierung war nicht seine Sache, und die Abspaltung der Geistes- von den Naturwissenschaften hat er, als von den ‚Zwei Kulturen‘ längst noch nicht die Rede war, in seinem Werk überwunden. […] Unser Bildungssystem ist bekanntlich dieser Herausforderung bis heute nicht gewachsen. Aber nur auf diesem Wege wird Deutschland in Zukunft ökonomisch überleben können.“  41
    Etwas vom alten Geist des 19. Jahrhunderts, der die Atomisierung der modernen Welt aufhalten will, wirkt also bis in unsere Zeit fort. Man mag lange darüber philosophieren, ob sich die Spaltung der „zwei Kulturen“ in Deutschland besonders hartnäckig gehalten hat. Die öffentliche Debatte ist – mag es heute auch keinen Bildungskanon im strengen Sinne mehr geben – wohl aber traditionell sozial- und geisteswissenschaftlich dominiert. Sie ist dadurch über weite Strecken auf eine fast joviale Weise technikskeptisch gewesen, indem sie sich nicht dezidiert technikfeindlich, aber gleichgültig bis zugeknöpft gab. Während man sich in den zwanziger Jahren über Gedichtsatiren wie Bertolt Brechts 700 Intellektuelle beten einen Öltank an amüsierte, verschenkte das Publikum der anbrechenden 2000er Jahre Bestseller wie Dietrich Schwanitz’ Bildung an Weihnachten, in dem es unter der Überschrift „Alles, was man wissen muss“ keine einzige Seite zu Naturwissenschaft und Technik gibt. 42 „Der in der deutschen Tradition entwickelte Kulturbegriff“, heißt es in einem der besten Bücher über die zwanziger Jahre,
    „umfasst den geistigen, künstlerischen, religiösen und moralischen Bereich in scharfer Abgrenzung gegen den ökonomischen und technischen Bereich. Der in der englischen und französischen
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