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Das grosse Muminbuch

Das grosse Muminbuch

Titel: Das grosse Muminbuch
Autoren: Tove Jansson
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gehe, weht das Dach davon, dachte sie, und wenn ich in den Keller gehe, stürzt das gan­ze Haus über mir zusammen. Das tut es unter allen Umständen!
    Sie griff sich ein Porzellankätzchen und drückte es fest an sich. In dem Augenblick stieß der Wind das Fenster auf, das Glas zersplitterte auf dem Boden. Ein Regenschauer peitschte über die Mahagonimöbel, und der schöne Hemul aus Gips stürzte von seinem Sockel und brach in Stücke. Mit fürchterlichem Getöse schlug der gläserne Kronleuchter des Onkels zu Boden. Filifjonka hörte, wie alle ihre Habseligkeiten schrien, jam­merten. Sie sah flüchtig ihre eigene bleiche Nase in einer Spiegelscherbe, und ohne weiter nachzudenken, raste sie ans Fenster und sprang hinaus.
    Und dort blieb sie sitzen, im Sande. Sie spürte den warmen Regen im Gesicht, und das Kleid flatterte und klatschte wie ein Segel. Angestrengt hielt sie die Augen geschlossen und wusste: Jetzt war sie mitten drin - in dem Gefährlichen, und völlig sich selbst überlassen.
    Der Sturm donnerte weiter, unbeirrt und gleichmäßig. Aber die ängstlichen Stimmen, alles was jammerte, kratzte, klapperte, zersplitter­te, zerbrochen war, alles das war verschwunden. Das Gefährliche war im Haus, nicht draußen.
    Die Filifjonka atmete vorsichtig den herben Tanggeruch ein und öff­nete die Augen: Das Dunkel war nicht mehr so schwarz wie im Wohn­zimmer.
    Sie sah die Brandung und den langsam durch die Nacht wandernden Schein des Leuchtturms. Er zog an ihr vorbei, ging weiter über die Dü­nen, verlor sich draußen am Horizont und kehrte wieder, immer wieder aufs neue; rundherum wanderte das ruhige Licht und bewachte den Sturm, hielt ihn am Zügel.
    Nachts bin ich noch nie allein draußen gewesen, dachte die Filifjonka. Wenn das meine Mutter wüsste..
    Sie fing an, gegen den Wind zu kriechen, hinab ans Ufer. Sie wollte so weit wie möglich von dem Haus des Hemuls wegkommen. Das Porzel­lankätzchen hatte sie immer noch in der Pfote, es beruhigte sie, dass sie jemanden beschützen konnte! Nun bemerkte sie, dass das ganze Meer mit blauweißem Schaum bedeckt war. Der Sturm schnitt die Wellen­kämme schräg ab und trieb sie als Rauch an den Strand. Es schmeckte nach Salz.
    Hinter ihr barst etwas, irgend etwas im Hause. Die Filifjonka drehte sich aber nicht um. Sie kauerte sich hinter einem großen Stein zusam­men und schaute mit weit offenen Augen in die Nacht hinaus. Sie fror nicht mehr. Und das Merkwürdige war, dass sie sich plötzlich geborgen fühlte. Ein sehr ungewöhnliches, neues Gefühl! Die Filifjonka erlebte dieses neue Gefühl sehr intensiv und fand es bezaubernd. Aber warum sollte sie eigentlich unruhig sein? Die Katastrophe war ja endlich einge­troffen.
    Gegen Morgen flaute der Wind ab. Die Filifjonka merkte es kaum. Sie saß da und dachte nach. Dachte nach über sich selbst, über ihre Kata­strophen und ihre Möbel, und sie fragte sich, wie sie sich alles zusammen­reimen sollte, damit es auch passte!
    Eigentlich war nichts anderes geschehen, als dass der Sturm den Schornstein heruntergerissen hatte. Dennoch spürte sie es ganz genau:
    Es hatte sie aufgerüttelt, alles durcheinandergeschüttelt, und sie wusste nicht, wie sie es anstellen sollte, um wieder ins richtige Gleis zu kommen. Sie hatte das Gefühl, die alte Filifjonka sei verschwunden, und sie war nicht einmal sicher, ob sie sie zurückwünschen sollte - und alles, was die alte Filifjonka besessen hatte?... Alles was entzweigegangen, rußig und feucht geworden war, in Scherben lag? Sich vorzustellen, dass man eine Woche nach der anderen kleistern und kleben müsste, die Stückchen und Fetzen zusammenzusuchen hatte, die überallhin verstreut waren... Waschen, plätten, neu anmalen und traurig sein über alles, was nicht mehr zusammenzufügen war, und immer wissen, dass vorher alles viel, viel schöner und ohne Risse gewesen war... Nein, bloß nicht! Und dann den ganzen Schmus wieder aufstellen, in einem ebenso dunklen Zim­mer, und weiter versuchen, es gemütlich zu finden...
    «Nein, das tue ich nicht!» rief die Filifjonka und erhob sich mit steifen Beinen. «Wenn ich versuche, alles wieder genauso herzurichten wie vor­her, werde ich selbst auch wieder wie vorher. Ich werde mich wieder fürchten... ich fühle es jetzt schon. Dann kommen mir wieder die Zy­klone nachgeschlichen, die Typhone und Taifune...»

    Sie schaute sich nun zum ersten Mal das Haus des Hemuls an. Es stand noch. Alles, was zerbrochen war, lag dort und wartete,
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