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Das große Buch vom Räuber Grapsch

Das große Buch vom Räuber Grapsch

Titel: Das große Buch vom Räuber Grapsch
Autoren: Gudrun Pausewang
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Teppich.
    „Auf den selbst geknüpften!", jammerte die Tante. „Worüber bin ich nur gestolpert ?"
    Schnell zog Grapsch seine Füße zurück.
    „Über meinen Fuß, Tante Hedwig", sagte Olli. „Bitte entschuldige."
    Aber da stießen Grapschs Knie von unten gegen die Tischplatte. Zwei volle Tassen kippten um.

    „Und jetzt bist du an den Tisch gestoßen, Olli", sagte die Tante zornig. „Bitte nimm dich zusammen!"
    „Das war nicht sie", knurrte Grapsch, „sondern ich."
    „Nein, ich!", rief Olli.
    „Nein, ich!", donnerte Grapsch.
    „Geschehen ist geschehen", sagte die Tante. „Sprechen wir nicht mehr darüber."
    Olli wechselte das Tischtuch und goss frischen Kaffee in die Tassen.
    „Greifen Sie zu", sagte die Tante zu Grapsch und hob ihre Tasse mit abgespreiztem kleinem Finger an den Mund. „Die Torte hat Olli gebacken. Ich habe sie zu einer guten Hausfrau erzogen."

Tante Hedwigs Häuschen bebt

    Grapsch hatte Hunger. Er hatte sich an diesem Tag noch nichts zu essen geraubt. Und so machte er sich über die Torte her, wie er's gewohnt war: Er griff sich ein Stück mit der Hand und stopfte es sich in zwei Bissen in den Mund. Die weiße Creme blieb in Bart und Schnurrbart hängen. Er schmatzte so laut, dass der Wellensittich zu zwitschern begann.
    „Sehr gut", mampfte er und rülpste. „Aber habt ihr nicht mehr als diese eine Torte?"
    Und schon langte er sich das zweite Stück.
    Tante Hedwig ließ ihren Kaffeelöffel sinken und sah ihm entsetzt zu.
    Als er sich mit der Kuchengabel im Ohr kratzte, stieß sie einen spitzen Schrei aus.
    „Nein, Olli", sagte sie grimmig, „das ist kein Mann für dich. Er kann sich nicht benehmen."
    „Ich werde ihm schon beibringen, wie man sich benimmt", rief Olli eifrig.
    „Nein", sagte die Tante entschlossen, „wenn er's nicht als Kind gelernt hat, lernt er's nie. Und überhaupt: Er passt nicht zu uns. Schon allein in der Größe. Und sieh dir diese Hose an! In einer Lederhose kommt er zu Besuch, noch dazu in einer so schmutzigen! Nein, aus dieser Heirat wird nichts. Such dir einen anderen Mann, Olli, einen kleinen, sauberen, ordentlichen, der sich zu benehmen weiß und hier im Juckener Ländchen bekannt ist."
    „Ich will aber den da und keinen anderen!", rief Olli. „Du bist jetzt still und mischst dich nicht ein!", sagte die Tante streng. „Was weißt denn du, wer zu dir passt? Du bist ja noch viel zu klein zum Heiraten. Bleib du nur noch ein paar Jahre schön brav daheim."
    „Aber Tante", schrie Olli, „ich wachse seit sieben Jahren nicht mehr! Ich bin schon lange erwachsen! Und ich will nicht mehr daheim bleiben und jeden Tag in die Fabrik gehen und die Rüssel von Sparschweinen bemalen. Ich will endlich mal richtig leben!"
    „Was soll das heißen?", rief die Tante empört. „Willst du mir etwa nicht mehr gehorchen? Geh in dein Zimmer und schäme dich! -Und Sie, Herr Rosenlcötterchen, suchen sich lieber eine Frau aus der Gegend, wo man Sie kennt."
    „Ich bin von hier", sagte Grapsch und schob sich gleich zwei Tortenstücke auf einmal in den Mund.
    „Mich kennt das ganze Juckener Ländchen. Ich bin der Räuber Tassilo Grapsch."
    Die Tante starrte ihn entsetzt an. Dann kreischte sie: „Verlassen Sie augenblicklich mein Haus, Sie - Sie - Sie Unhold!"
    „Jawohl, das tue ich", sagte er und schlug die Faust mitten in die Torte, dass die Creme nach allen Seiten spritzte. „Mit Vergnügen!"
    Mit einem Mal fühlte er sich wieder wohl. Er sprang auf. Der Tisch kippte, der Kronleuchter schaukelte. Tassen, Teller, Kaffeelöffel, Tortenschaufeln und Kuchengabeln flogen durch die Luft. Der Tante schössen die Tränen in die Augen.
    „Wie steht's, Olli - soll ich dich rauben?", rief er.
    „Oh ja, raub mich!", jubelte Olli.
    „Dann komm her", sagte er. „Durch euren Flur ist mir's zu eng. Wir nehmen den kürzeren Weg."
    Er stieß das Fenster auf, dass die Scheiben nur so splitterten. „Endlich frische Luft", schnaufte er.
    „Olli, du bleibst hier!", schrie die Tante und riss dem Räuber das Stuhlkissen vom Hintern, das an der Tarnhose festgeklebt war. Aber schon hatte Tassilo seine kleine Braut hinausgeschoben und kletterte hinterher. Das Fenster war zu klein. Er musste sich zusammenklappen wie ein Taschenmesser. Das Haus bebte. Ein paar Ziegel fielen vom Dach. „Das reinste Mauseloch!", schimpfte er. „Olli, du kommst sofort zurück!", schrie die Tante. Kaum war er draußen, hob er Olli auf seine Schultern. Als das die Tante sah, fiel sie in Ohnmacht.
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