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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum
Autoren: H. P. Lovecraft
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in die sagenhafte Unterwelt, die ich entdeckt hatte.
    Es war ziemlich schwierig, die ersten paar Stufen hinunterzugehen, sowohl wegen der herabgefallenen Erde als auch deshalb, weil ein merkwürdig starker, eiskalter Wind von unten heraufwehte. Der Talisman an meinem Hals pendelte seltsam hin und her, und ich sah mich mehrmals sehnsüchtig nach dem entschwindenden hellen Viereck über mir um. Die Taschenlampe beleuchtete feuchte, wasserfleckige und mit Salz überkrustete Mauern aus riesigen Basaltquadern, und hin und wieder meinte ich, unter den weißlichen Krusten Spuren alter Reliefs zu erkennen. Ich nahm meine Tasche fester in die Hand und war froh über das tröstliche Gewicht des schweren Revolvers in meiner rechten Jackentasche, den mir der Sheriff gegeben hatte. Nach einer Weile kam ich an die ersten Biegungen des Ganges; die Treppe war hier frei von Hindernissen und Verunreinigungen. Die Reliefs an den Wänden traten jetzt deutlicher hervor, und ich schauderte, als ich sah, wie sehr die grotesken Gestalten den monströsen Reliefs auf meinem Metallzylinder ähnelten. Der Wind und die unsichtbaren Kräfte wehten mir nach wie vor bösartig entgegen, und an der einen oder anderen Biegung schien mir fast, als entdeckte ich im Schein der Taschenlampe dünne, durchsichtige Gestalten, nicht unähnlich dem Wächter auf dem Hügel, wie ich ihn im Fernglas gesehen hatte. Als ich diese Stufe des visuellen Chaos erreicht hatte, blieb ich einen Moment lang stehen, um mich wieder zu fassen. Ich war fest entschlossen, mir keine Streiche von meinen Nerven spielen zu lassen, schon gar nicht in dieser Anfangsphase einer Unternehmung, die sich sicherlich als
    faszinierendes Erlebnis und als der bedeutendste Erfolg meiner archäologischen Laufbahn erweisen würde.
    Aber gleich darauf wünschte ich mir, ich wäre nicht ausgerechnet an dieser Stelle stehengeblieben, denn gerade dadurch wurde ich auf etwas höchst Befremdliches aufmerksam. Es war nur ein kleiner Gegenstand, der auf einer der Treppenstufen unter mir an der Wand lag, aber es war ein Gegenstand, der meine Verstandeskraft auf eine harte Probe stellte und eine Fülle der beunruhigendsten Spekulationen auslöste. Daß die Öffnung über mir seit Generationen für alle materiellen Dinge und Lebewesen unpassierbar gewesen war, ging eindeutig aus dem dichten Wurzelgewirr in den oberen Erdschichten hervor, doch das Objekt, das da vor mir lag, war eindeutig noch nichtviele Generationen alt. Es handelte sich nämlich um eine Taschenlampe, ganz ähnlich der, die ich bei mir hatte, zerbeult zwar und halb vom Rost zerfressen, aber trotzdem absolut unverkennbar. Ich ging die paar Stufen hinunter, hob die Lampe auf und wischte sie an meiner Jacke ab. In einem der Nickelringe war ein Name mit einer Adresse eingraviert, den ich in dem Moment erkannte, als ich ihn sah. Er lautete »Jas. C. Williams, 17 Trowbridge St., Cambridge, Mass.«, und ich wußte, daß die Lampe einer der zwei beherzten College-Professoren gehört haben mußte, die am 2.8. Juni 1915 verschwunden waren. Das war erst dreizehn Jahre her, und doch hatte ich soeben Erdreich durchbrochen, das seit Jahrhunderten ungestört geblieben war. Wie war die Lampe hierher gekommen? Gab es noch einen Zugang, oder war an den Geschichten von der Entmaterialisierung und Rematerialisierung doch etwas dran?Furcht und Zweifel zehrten an mir, während ich immer weiter die scheinbar endlose Treppe hinabstieg. Die Reliefs wurden immer deutlicher und ergaben eine Art Bildersprache, die mich beinahe in Panik versetzte, entdeckte ich doch zahlreiche unverkennbare Übereinstimmungen mit der Geschichte von K’n-yan, wie sie in dem Manuskript, das ich in meiner Tasche hatte, beschrieben war. Zum erstenmal stellte ich mir ernsthaft die Frage, ob es klug gewesen war, einfach in diesen Schlund hinabzusteigen, oder ob ich nicht besser daran täte, wieder an die Oberfläche zurückzukehren, bevor ich auf etwas stieß, das mir ein für allemal den Verstand rauben würde. Aber ich zögerte nicht lange, denn als Virginier spürte ich, wie das Blut meiner wehrhaften, abenteuerlustigen Vorfahren in meinen Adern gegen jeden Rückzug vor bekannten oder unbekannten Gefahren aufbegehrte. Mein Abstieg wurde schneller statt langsamer, und ich vermied es, die schrecklichen Reliefs anzusehen, die mich einen Augenblick schwankend gemacht hatten. Ganz unvermittelt sah ich vor mir eine Bogentür, und da wußte ich, daß ich das untere Ende der riesigen Treppe
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