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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum
Autoren: H. P. Lovecraft
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Gedanken, denn als ich mich auf dem elliptischen Gipfel umsah, fiel mir sofort auf, daß meine Hacke und meine Schaufel gestohlen worden waren. Das war nicht nur ärgerlich, sondern auch verblüffend, da doch die Leute von Binger angeblich alle so große Angst hatten, zum Hügel hinauszugehen. Hatten sie mir diese Scheu womöglich nur vorgespielt, und hatten die Spaßvögel im Dorf sich schon ins Fäustchen gelacht, als sie mich vor zehn Minuten feierlich losmarschieren sahen? Ich holte mein Fernglas hervor und betrachtete prüfend die gaffende Menge am Dorfrand. Nein, auf einen komischen Höhepunkt schienen sie nicht zu warten, aber war die ganze Geschichte nicht vielleicht doch bloß ein Scherz, an dem die Dorfbewohner und die Indianer aus dem Reservat sich beteiligten einschließlich der Legenden, des Manuskripts, des Zylinders und aller übrigen Einzelheiten? Aber dann mußte ich daran denken, daß ich den Wächter aus der Ferne gesehen, und festgestellt hatte, daß er auf unerklärliche Weise verschwunden war, und ich dachte auch daran, wie Grauer Adler sich verhalten hatte, wie Compton und seine Mutter mit mir sprachen und welch unverkennbare Angst die Leute von Binger hatten. Wenn man alles berücksichtigte, konnte es sich wirklich nicht um einen Ulk handeln, in den das ganze Dorf eingeweiht war. Nein, das Problem war real, ebenso wie die Angst, aber es gab in Binger offenbar ein paar Draufgänger mit einer Vorliebe für schlechte Scherze, die sich zum Hügel geschlichen und die von mir zurückgelassenen Werkzeuge entwendet hatten.

    Ansonsten war auf dem Hügel noch alles so, wie ich es am Abend zuvor verlassen hatte das mit der Machete umgehauene Gestrüpp, die leichte, tellerartige Vertiefung am Nordende und das Loch, das ich mit meinem Stechmesser beim Ausgraben des Zylinders gemacht hatte. Da die unbekannten Spaßvögel in Binger sicher nur darauf warteten, daß ich zurückkäme, um mir Ersatzgeräte zu beschaffen, beschloß ich, mein Programm so gut es ging allein mit der Machete und dem Stechmesser durchzuführen, und so ging ich gleich daran, in der tellerartigen Vertiefung weiterzugraben, wo sich meiner Vermutung nach ein ehemaliger Zugang zum Inneren des Hügels befunden haben konnte. Bei der Arbeit hatte ich wie am Vortag wieder den Eindruck, daß Windstöße mich zu behindern suchten, nur daß dieser Eindruck diesmal noch stärker war und die Empfindung noch mehr an unsichtbare, formlose Hände erinnerte, die sich auf meine Handgelenke legten, während ich immer tiefer in die von Wurzeln durchzogene Erde und den darunterliegenden exotischen schwarzen Lehm grub. Das Amulett, das ich um den Hals trug, baumelte eigenartig im Wind, nicht in eine bestimmte Richtung wie tags zuvor, als es von dem Zylinder angezogen wurde, sondern auf völlig unberechenbare und doch irgendwie unnatürliche Art. Unversehens begann die schwarze, von Wurzelwerk durchzogene Erde unter meinen Füßen nachzugeben, und gleichzeitig hörte ich tief unter mir Geräusche wie von abrutschenden, herabfallenden Erdmassen. Die Windstöße oder Kräfte oder Hände schienen jetzt genau von der Stelle aus zu operieren, wo die Erde eingebrochen war, und ich spürte, daß ich förmlich geschoben wurde, als ich zurücksprang, um nicht etwa in dem Loch zu versinken. Als ich mich dann über den Rand beugte und mit der Machete auf das Wurzelgewirr einhackte, spürte ich, daß die Kräfte .wieder gegen mich waren, doch waren sie zu keinem Zeitpunkt stark genug, mich an meiner Arbeit zu hindern. Je mehr Wurzeln ich durchtrennte, um so mehr Erde hörte ich tief drunten fallen. Schließlich vertiefte sich das Loch ganz von allein zur Mitte hin, und ich sah, daß die Erde in einen großen Hohlraum hinabrieselte, so daß ein ziemlich großes Loch entstehen würde, sobald die letzten Wurzeln durchtrennt waren. Noch ein paar Hiebe mit der Machete, und eine klaffende Öffnung tat sich auf, aus der seltsam kalte und fremdartig riechende Luft aufstieg. Die Strahlen der Morgensonne fielen in das mindestens drei mal drei Fuß große Loch und beleuchteten die obersten Stufen einer Steintreppe, über die noch lose Erde hinabrutschte. Endlich hatte meine Suche zu einem Ergebnis geführt! Die Freude über diesen Erfolg war einen Augenblick lang fast größer als die Angst; ich legte das Stechmesser und die Machete in meine Tasche zurück, nahm meine starke Taschenlampe heraus und war bereit zu einem triumphierenden, einsamen und völlig überstürzten Abstieg
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