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Das Gold des Bischofs

Das Gold des Bischofs

Titel: Das Gold des Bischofs
Autoren: Simon Beaufort
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bis er mehr Seil in einem weiteren Weinfass hereingeschmuggelt hätte.
    Aber es war zu spät: Flambard kletterte bereits aus dem Fenster. Odard spannte sich an. Die distanzierte Gelassenheit, die er während seiner Wache gezeigt hatte, verflog. Flambards Füße scharrten so laut über die Mauer, dass die Wachen es ganz sicher hören und nach dem Rechten sehen würden. Dann wieherte eines der wartenden Pferde lange und durchdringend, und Odard schloss verzweifelt die Augen.
    Als wäre das nicht genug, fing nun auch noch der Bischof während des Kletterns zu fluchen an. Odard schaute hoch und versuchte, Flambard durch bloße Willenskraft zur Ruhe zu bringen. König Henry würde nicht sonderlich erfreut sein, wenn er erfuhr, dass sein bedeutsamster Gefangener aus der sichersten Feste des Landes entwichen war. Wenn man Flambard wieder einfinge, würde Henry Rache nehmen, wie man es von einem Sohn des Eroberers erwarten konnte, und der Bischof müsste schon großes Glück haben, um je wieder das Licht des Tages zu erblicken. Aber Odard würde es noch schlimmer ergehen: Einem Gefangenen bei der Flucht zu helfen war Verrat, und die Bestrafung fiele ebenso streng wie tödlich aus.
    Flambard erreichte das Ende des Seils und erkannte, dass es nicht bis zum Boden reichte. Sein Fluchen wurde noch lästerlicher. Odard sah ihn dort oben hängen, wie er mit furchtgeweiteten Augen auf die weit unter ihm liegenden harten Pflastersteine blickte. Und dann rutschte er ab. Odard sprang vor und versuchte, den Sturz abzufangen, aber trotzdem prallte Flambard hart und sehr unglücklich auf den Boden. Sein Schimpfen erstickte in einem schmerzerfüllten Keuchen, und als er aufstand, stellte sich heraus, dass er nicht gehen konnte.
    Â»Das ist eine Katastrophe!«, zischte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er hielt Odard die Hände entgegen. »Ihr habt mir keine Handschuhe bereitgestellt, und das Seil hat mir die Handflächen aufgerissen.«
    Â»Wir müssen uns beeilen«, flüsterte Odard und verzichtete auf den Hinweis, dass Flambard selbst an Handschuhe hätte denken können. Man musste nicht besonders schlau sein, um vorherzusehen, wie ein grobes Seil mit den Handflächen eines Mannes verfahren würde, der in seinem ganzen Leben noch keinen Tag mit ehrlicher Arbeit zugebracht hatte.
    Â»Ich kann nicht laufen«, verkündete Flambard herrisch. »Ich habe mir den Knöchel verstaucht, als ich herabgefallen bin, weil das Seil, das Ihr mir habt zukommen lassen, zu kurz gewesen ist.«
    Odard wünschte sich schon fast, der undankbare Bischof hätte sich beim Sturz den Hals gebrochen und nicht nur am Fuß verletzt. Aber er behielt den Gedanken für sich und fasste Flambard am Arm, um ihm zum Tor zu helfen. Letztendlich musste er ihn doch über den Hof tragen und war bald außer Atem. Die Jahre des Wohllebens hatten dem einst athletischen Flambard eine schlaffe Fülligkeit beschert. Der Bischof hatte gerade die Finger am Griff der Pforte, als unvermittelt die Tür der Wachstube aufsprang und vier Posten herauskamen.
    Â»Ihr habt mir versichert, sie würden mit den Patrouillen nach Mitternacht nachlässiger werden«, flüsterte Flambard anklagend. »Wisst Ihr überhaupt, wie es mir ergehen wird, wenn man mich bei einem Fluchtversuch aufgreift?«
    Odard gab keine Antwort, sondern zog den Bischof tiefer in den Schatten. Die Wachen unterhielten sich leise, teilten sich dann und drehten in Zweiergruppen ihre Runden. Einer kam direkt auf Flambard und Odard zu und wollte offenbar prüfen, ob die Pforte verschlossen war. Odards Herz pochte laut, beinahe schmerzhaft. Dieses Geräusch konnten die Wachen unmöglich überhören …
    Er war drauf und dran, den Bischof im Stich zu lassen und zum Tor zu stürzen, auf eines der Pferde zu springen und zu fliehen, solange er noch konnte. Aber er blieb. Er war ein Ritter vom Spital des Heiligen Johannes zu Jerusalem, und der Großmeister selbst hatte ihm befohlen, Flambard zu dienen. Johanniter waren nicht dafür bekannt, dass sie ihre Gehorsamseide brachen, nur weil sie Angst hatten.
    Er beobachtete, wie der Soldat auf das Tor zutrat, den Riegel prüfte und sich dann wieder seinem Kameraden auf dem Wehrgang anschloss.
    Odard war regelrecht berauscht vor Erleichterung. Er bewegte sich auf die Pforte zu, noch bevor die Wache um die Ecke gebogen und außer Sicht war. Draußen standen
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