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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Autoren: Hermann Hesse
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nicht heiter. Ist die Musik nicht heiter, so murrt das Volk, und das Leben wird geschädigt. Das alles entsteht daraus, daß man das Wesen der
Musik verkennt und nur auf rauschende Klangwirkungen aus ist.
    Darum ist die Musik eines wohlgeordneten Zeitalters ruhig und heiter, und die Regierung gleichmäßig. Die Musik eines unruhigen Zeitalters ist aufgeregt und grimmig, und seine Regierung ist verkehrt. Die Musik eines verfallenden Staates ist sentimental und traurig, und seine Regierung ist gefährdet.«
    Die Sätze dieses Chinesen nun weisen uns ziemlich deutlich auf die Ursprünge und auf den eigentlichen, beinahe vergessenen Sinn aller Musik hin. Gleich dem Tanz und gleich jeder Kunstübung nämlich ist die Musik in vorgeschichtlichen Zeiten ein Zaubermittel gewesen, eines der alten und legitimen Mittel der Magie. Beginnend mit dem Rhythmus (Händeklatschen, Aufstampfen, Hölzerschlagen, früheste Trommelkunst) war sie ein kräftiges und erprobtes Mittel, eine Mehrzahl und Vielzahl von Menschen gleich zu »stimmen«, ihren Atem, Herzschlag und Gemütszustand in gleichen Takt zu bringen, die Menschen zur Anrufung und Beschwörung der ewigen Mächte, zum Tanz, zum Wettkampf, zum Kriegszug, zur heiligen Handlung zu ermutigen. Und dies ursprüngliche, reine und urmächtige Wesen, das Wesen eines Zaubers, ist der Musik sehr viel länger erhalten geblieben als den anderen Künsten, man erinnere sich nur der vielen Aussagen der Geschichtsschreiber und
Dichter über die Musik, von den Griechen bis zu Goethes Novelle. In der Praxis hat der Marsch und der Tanz seine Bedeutung nie verloren. – Aber kehren wir zum eigentlichen Thema zurück! Über die Anfänge des Glasperlenspiels wollen wir nun kurz das Wissenswerteste berichten. Es entstand, wie es scheint, gleichzeitig in Deutschland und in England, und zwar in beiden Ländern als Spielübung in jenen kleinen Kreisen von Musikgelehrten und Musikern, die in den neuen musiktheoretischen Seminaren arbeiteten und studierten. Und wenn man den anfänglichen Zustand des Spieles mit dem späteren und heutigen vergleicht, so ist es ganz ähnlich, als vergliche man eine musikalische Notenschrift aus der Zeit vor 1500 und ihre primitiven Notenzeichen, zwischen denen sogar die Taktstriche noch fehlen, mit einer Partitur aus dem achtzehnten Jahrhundert oder gar mit einer aus dem neunzehnten mit ihrer verwirrenden Überfülle an abgekürzten Bezeichnungen für Dynamik, Tempi, Phrasierung und so weiter, welche oft den Druck solcher Partituren zu einem schweren technischen Problem machte.
    Das Spiel war zunächst nichts weiter als eine witzige Art von Gedächtnis- und Kombinationsübung unter den Studenten und Musikanten, und, wie gesagt, wurde es sowohl in England wie in Deutschland gespielt, noch ehe es hier an der Musikhochschule von Köln »erfunden« wurde und seinen Namen er
hielt, den es auch heute nach so vielen Generationen noch trägt, obwohl es seit langer Zeit mit Glasperlen nichts mehr zu tun hat. Dieser Glasperlen bediente sich der Erfinder, Bastian Perrot aus Calw, ein etwas wunderlicher, aber kluger und gesellig-menschenfreundlicher Musiktheoretiker, an Stelle von Buchstaben, Zahlen, Musiknoten oder anderer graphischer Zeichen. Perrot, der übrigens auch eine Abhandlung über »Blüte und Verfall der Kontrapunktik« hinterlassen hat, fand im Kölner Seminar eine von den Schülern schon ziemlich weit entwickelte Spielgewohnheit vor: sie riefen einander in den abkürzenden Formeln ihrer Wissenschaft beliebige Motive oder Anfänge aus klassischen Kompositionen zu, worauf der Angerufene entweder mit der Fortsetzung des Stückes oder noch besser mit einer Ober- oder Unterstimme, einem kontrastierenden Gegenthema und so weiter zu antworten hatte. Es war eine Gedächtnis- und Improvisierübung, wie sie ganz ähnlich (wenn auch nicht theoretisch in Formeln, sondern praktisch am Cembalo, mit der Laute, der Flöte oder der Singstimme) möglicherweise einst bei eifrigen Musik- und Kontrapunktschülern in der Zeit von Schütz, Pachelbel und Bach mochte im Schwange gewesen sein. Bastian Perrot, ein Freund handwerklicher Betätigung, der sich mit eigener Hand mehrere Klaviere und Klavichorde nach Art der alten gebaut hat, der höchstwahrscheinlich zu den Mor
genlandfahrern gehörte und von dem die Sage geht, er habe die Violine auf die alte, seit 1800 vergessene Art mit hochgewölbtem Bogen und handregulierter Haarspannung zu spielen vermocht – Perrot konstruierte sich, nach dem
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