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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz
Autoren: Virginia Doyle
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gewöhnt. Er hatte in einem Restaurant in Nizza gelernt, war später als Leibkoch eines Lords in England beschäftigt gewesen, hatte auf einem Mittelmeer-Kreuzfahrt-Dampfer gearbeitet und auf Sizilien einem Mafioso dienen müssen. Danach hatte er in Wien die Kaffeehaus-Kultur kennen gelernt und im Elsass das Sauerkraut. Als Koch war er es gewohnt, frühmorgens aufzustehen, um auf dem Markt die Zutaten für den Tag zu besorgen. Er wusste, dass es in keinem Restaurant der Welt Ruhepausen für diejenigen gab, die hinter den Kulissen für die Gäste sorgen mussten – vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Er verbrachte fast sein ganzes Leben in der engen, heißen, stickigen Küche.
    Diesen Alltag war er gewöhnt. Aber die Arbeit als Bäcker war noch anstrengender. Um drei Uhr nachts wurde an seine Zimmertür geklopft. Daraufhin sprang er aus dem warmen Bett, zündete mit zitternder Hand eine Kerze an, lief fröstelnd zur Waschschüssel hin, zerschlug das Eis, wusch sich hastig Hände und Gesicht, zog sich an und hörte schon das zweite ungeduldige Klopfen an der Tür. Er eilte über den niedrigen Flur in die enge Küche, wo auf dem Herd eine mächtige Kanne mit Zichorienkaffee vor sich hin brodelte. Er bekam eine Tasse davon, nicht mehr, und dazu eine schon vorbereitete Scheibe dünn mit Butter bestrichenen Brotes. Kaum hatte er beides vertilgt, wurde er von Frau Dunkel, die noch ihren himmelblauen geblümten Schlafrock trug, in die Backstube gescheucht.
    Dort lagen bereits dicke Scheite in dem mächtigen Holzofen. Noch war es bitterkalt, denn das Holz war eben erst angezündet worden. Dem Bäcker in seinem Unterhemd schien die Temperatur gerade recht zu sein. »Los, los, der Brotteig muss fertig gemacht werden!«, hieß es dann auch schon. Gut so, beim Kneten des zähen Teigs wurde einem schnell warm. Der Sauerteig für das kräftige Landbrot lag in einem Bottich unter einem feuchten Tuch. Ein extra dafür vorgesehenes Fach im riesigen Ofen sorgte auch nachts für Wärme damit er gehen konnte. Der Bäcker stellte den Bottich auf den breiten Tisch in der Mitte der Backstube, und Pistoux formte runde Laibe, während der Meister den Ofen anheizte.
    Pistoux war sich nicht mehr so sicher, ob es wirklich klug gewesen war, diese Stellung anzunehmen. Er war in mehrfacher Hinsicht von seinem eigentlichen Weg abgekommen. Eigentlich hatte er vorgehabt, vom Elsass aus den direktesten Weg nach Hamburg einzuschlagen, wo man ihm eine Stelle als Koch in einem Hotel angeboten hatte. Da ihm aber die nötigen Geldmittel fehlten, war er gezwungen gewesen, auf ein günstiges Mitreiseangebot eines deutschen Händlers einzugehen, den er zufällig in Straßburg kennen gelernt hatte. Der wollte in Nürnberg Gewürze einkaufen und sie dann in Norddeutschland verkaufen. Leider ging das Geschäft schief, weil der Händler sein Geld in diversen Herbergen am Wegesrand beim Kartenspiel verlor. Zu guter Letzt hatte er seine klapprige Kutsche verpfänden müssen. Den restlichen Weg nach Nürnberg hatte Pistoux allein und größtenteils zu Fuß zurückgelegt.
    Von Nürnberg aus fuhren Handelskutschen in alle Himmelsrichtungen. Pistoux hoffte deshalb, bald eine Reisemöglichkeit Richtung Hamburg finden zu können. Beinahe mittellos war er in der Gaststätte »Zum Goldenen Hufeisla« untergekommen, wo der Wirt ihm erzählte, dass nebenan in der Bäckerei ein Geselle gesucht wurde. Zwar hatte Pistoux keine Bäckerausbildung gemacht, aber in der Patisserie kannte er sich gut aus, und in Wien hatte er mit Zuckerbäckereien zu tun gehabt.
    Ihm war bewusst, dass er damit in der gastronomischen Hierarchie weit abgesunken war. Zwischen Küchenchef und Bäckergeselle klaffte eine tiefe Kluft. Aber Pistoux hoffte, dass er bald wieder in seinem angestammten Beruf tätig sein würde. Und wer wusste schon, ob ihm die neuen Kenntnisse, die er nun gewann, später nicht einmal von Nutzen sein würden.
    Das Holzfeuer im Ofen prasselte, in der Backstube war es nun warm. Der dicke Bäcker schwitzte schon, als er die Brotlaibe in den Ofen schob. Pistoux war bereits dabei, Weizenbrote zu formen. Sie würden später in den Ofen geschoben, weil sie schneller fertig waren. Dann kamen die kleinen Brötchen dran, die im Morgengrauen von den Bediensteten der bürgerlichen Haushalte abgeholt wurden. Sogar Croissants wurden bei Friedrich Dunkel gebacken. Er nannte sie »Hörnli«, aber sie wurden genau so zubereitet wie in Paris, wo Pistoux einst zusammen mit seinem Freund
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