Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewicht der Liebe

Das Gewicht der Liebe

Titel: Das Gewicht der Liebe
Autoren: Campbell Drusilla
Vom Netzwerk:
Grundschule, hatte Roxanne ein silbernes Windrädchen geschenkt. Auf der Fahrt zu Gran hatte sie es aus dem Fenster des Buick gehalten, und es hatte sich im Fahrtwind gedreht wie die Windräder.
    Sie hätte Simone von der Lehrerin erzählen können, die sie so gern gehabt hatte, und von ihrer Angst, als sie aus ihrem Zuhause herausgerissen und der Obhut einer Großmutter übergeben worden war, von deren Existenz sie bis dahin nicht einmal gewusst hatte. Stattdessen redete sie über ihre Mutter.
    »Wie geht es ihr?«, fragte Simone.
    Roxanne wackelte mit dem Kopf, und sie lächelten beide. Dr. Lennox hatte einmal gesagt, eine Schwester mache es erträglicher, eine Mutter zu haben.
    »Bestens«, sagte Roxanne. »Die Firma läuft wie verrückt. Sie macht richtig Kohle.«
    »Inzwischen hat sie BJ s Verlust wohl überwunden.«
    Roxanne hatte Simone nie von dem Restaurantbesuch mit BJ erzählt, als er ihr für ihre guten Dienste ein Kuvert mit Geld hatte zukommen lassen. Sie hatte ihr Innen- und Außenleben vor ihrer Schwester geheim gehalten, weil eine gute Schwester beschützen musste, nicht wütend oder unglücklich oder verwirrt und niemals verbittert oder rebellisch oder widerwillig sein durfte. Eine gute Schwester war logisch in ihrem Denken und wusste mit jeder Situation umzugehen.
    Sie spulte in Gedanken noch einmal Dr. Lennox’ Worte ab. »In Simones Welt sind die einzigen Gefühle, die zählen, ihre eigenen. Das macht sie zu einem Kind. Das lässt sie auf der Stufe eines Kindes bleiben. Erzählen Sie ihr die Geschichte Ihres Lebens. Lassen Sie Ihre Schwester Anteil daran nehmen, wie es sich anfühlte, Roxanne zu sein. Lassen Sie Ihre Schwester erwachsen werden.«
    Sie hatte Simone nie von dem Haus in Logan Hills erzählt und von jener Nacht, als sie es beinahe niedergebrannt hätte. Sie hatte nicht beschrieben, wie sie auf einem Stuhl stand, um Geschirr zu spülen, oder ihre Mutter zudeckte, wenn diese betrunken auf dem Sofa eingeschlafen war. Simone wusste nicht, dass ihre Mutter ihr mit einer Plastikschlappe auf das Ohr gehauen hatte, bis es blutete. Und sie wusste nicht, dass sie Roxanne von Grans Farm wieder nach Hause geholt hatte, weil sie fürchtete, sie könne auch Simone etwas antun.
    Dr. Lennox hatte sie gefragt: »Sie haben Ihre Kindheit aufgegeben, um Ihre Schwester zu beschützen. Was für ein Gefühl ruft das in Ihnen hervor?«
    Blut strömte in und aus ihrem Herzen, die Herzklappen öffneten und schlossen sich, und ihr Puls hielt den Takt. Ich werde verlassen werden. Ich werde geschlagen werden . Ihr Herz würde sich verkrampfen und dann explodieren; Blut und Knochen würden in alle Richtungen fliegen.
    Jemand wird den Kopf meiner kleinen Schwester ins Badewasser drücken, um sie am Schreien zu hindern, oder sie am Fuß packen und in den Swimmingpool schmeißen .
    Und dann hatte Dr. Lennox gesagt: »Simone wurde dazu erzogen, hilflos zu sein, und Sie wurden dazu erzogen, Angst zu haben, wachsam zu sein und nach Gefahren Ausschau zu halten. Aber es gibt nichts mehr, wovor Sie sich fürchten müssen.«
    Ihr Herz schlug gegen den Kerker ihrer Rippen.
    Roxanne fragte Simone, ob sie daran gedacht habe, ein Sonnenschutzmittel aufzutragen.
    Roxanne mahnte sie, sie sei zu dünn.
    Beschützerin und Schützling, Helferin und Hilflose. Beide vom Leben eingeschüchtert. Roxanne war ebenso sehr in ihrer Rolle gefangen wie Simone in ihrer.
    Am Gebirgskamm drehten sich die Windräder ; irgendwo stieg ein Vogel in die Lüfte, segelte über den Himmel wie ein Zweimaster über blaues Wasser. Roxanne saß mit ihrer Schwester auf dem Hügel von St. Anne’s. Die einzige Schwester, die sie je haben würde. Sie hielt den Schlüssel zu ihrer gemeinsamen Vergangenheit in der Hand. Er würde die Tür zu ihrer beider Zukunft öffnen.
    »Als ich klein war, noch jünger als die Zwillinge, gab es auf der Straßenseite gegenüber von unserem Haus eine Bar, die Royal Flash hieß. Mom und mein Dad gingen abends oft dorthin und ließen mich allein.« Sie zog Simone ne ben sich auf die Bank, zwang sich dazu weiterzusprechen. »Eines Nachts habe ich beinahe das Haus in Brand ge setzt.«
    Der Wind blies, fegte durch ihre Haare. Roxanne war voller Leichtigkeit. Ein Windstoß mehr, und sie würden fliegen, ihre Schwester und sie würden beide durch die Lüfte segeln.
    »Das war die Nacht, als Mom mich mit einer Plastikschlappe geschlagen hat. Deshalb bin ich auf dem linken Ohr taub.«
    Sie sprach, und Simone hörte zu.
    Brief von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher