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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden
Autoren: Anne Perry
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Augenblick, entschied sich für eine der Sixpencemünzen sowie den Halfpenny, tippte an seinen Hut, ließ die Zügel auf den Rücken seines Pferdes klatschen und Monk mutterseelenallein auf dem Bürgersteig zurück. Er war vor Furcht plötzlich wie gelähmt; er hatte nicht die geringste Vorstellung, was oder wen – er vorfinden würde.
    Zwei Männer gingen an ihm vorbei und musterten ihn mit neugierigen Blicken. Bestimmt dachten sie, er hätte sich verlaufen. Monk schämte sich, kam sich vor wie ein Idiot. Wer würde ihm die Tür öffnen? Jemand, den er kennen sollte? Falls er tatsächlich dort wohnte, konnte er für diese Leute kein Fremder sein! Wer waren sie überhaupt – Freunde oder lediglich seine Hauswirte? Es war absurd, aber er wußte nicht einmal, ob er Familie hatte.
    Nein, in dem Fall hätte man ihn bestimmt besucht. Runcorn war gekommen, folglich hätte man seinen Angehörigen mitgeteilt, wo er sich aufhielt. Oder hatte er zu der Sorte Mann gehört, die keine Liebe braucht, sondern voll und ganz im Beruf aufgeht? War aus diesem Grund auch Runcorn erschienen? Weil es sein Job war?
    War er ein guter Polizist gewesen, hatte er seine Arbeit zufriedenstellend erledigt? Hatten die Kollegen ihn gemocht? Das Ganze war lächerlich – geradezu mitleiderregend.
    Er schüttelte den Gedanken ab. Nein, das war kindisch. Hätte er Familie – eine Frau, Bruder oder Schwester –, Runcorn hätte es ihm gesagt. Er mußte die Dinge nehmen, wie sie kamen. Wenn er es geschafft hatte, einen Job bei der Metropolitan Police zu bekommen, mußte er ein guter Detektiv sein. Er würde nach und nach jede Einzelheit in Erfahrung bringen, bis er sich schließlich ein vollständiges Bild machen könnte, ein Modell seines Lebens sozusagen. Der erste Schritt bestand darin, an diese dunkelbraune, abweisende Tür zu klopfen.
    Er hob eine Hand und pochte energisch gegen das Holz. Es dauerte endlos lange Minuten voller Verzweiflung, die er mühsam und mit dröhnendem Kopf durchstand, bis ihm die Tür von einer breithüftigen Frau mittleren Alters geöffnet wurde. Sie trug eine Schürze; ihr Haar war lieblos zurückgebürstet, aber dicht und frisch gewaschen, und das auf Hochglanz geschrubbte Gesicht deutete auf ein gutes Herz hin.
    »Na, haste Töne!« entfuhr es ihr. »Der Herr sei meiner Seele gnädig, wenn das nich unser Mr. Monk is! Erst heute morgen hab ich zu Mr. Worley gesagt, wenn Se nich bald wieder da wären, müßt ich Ihr Zimmer weitervermieten. Nich, daß ich so was gern tu, aber der Mensch lebt schließlich nicht von Luft allein. Ihr Mr. Runcorn war hier und hat erzählt, Sie hätten ’nen Unfall gehabt und wären schlimm verletzt und würden in irgend so ’nem schrecklichen Krankenhaus liegen.« Sie legte angewidert eine Hand an die Wange. »Der Herr verschone uns vor solchen Orten. Sie sind der erste, den ich auf seinen eigenen zwei Beinen da rauskommen seh. Wenn Se die Wahrheit wissen wolln, ich hab sogar jeden Tag damit gerechnet, daß so ’n Laufbursche kommt und sagt, Sie wären tot.« Sie verzog das Gesicht und musterte ihn scharf. »Besonders gut sehen Se wirklich nich aus. Jetzt kommen Se erst mal rein, dann bring ich Ihnen was Vernünftiges zu essen. Sie müssen ja halb verhungert sein. Möchte wetten, Sie haben nix Ordentliches mehr zwischen die Zähne gekriegt, seit Se hier weg sind. War das vielleicht ’n rabenschwarzer Tag, als Se plötzlich verschwunden sind! Genauso rabenschwarz wie die Seele von ’nem Armenhausschinder!« Mit diesen Worten raffte sie ihre gigantischen Röcke zusammen und ließ ihn ein.
    Er folgte ihr durch die getäfelte Eingangshalle, deren Wände mit kitschigen Bildern behängt waren, dann die Treppe hinauf in einen breiten Gang. Dort angekommen, löste sie ein Schlüsselbund von ihrem Gürtel und schloß eine der Türen auf.
    »Sie haben Ihren Schlüssel wohl verloren, sonst hätten Se nich geklopft, was? Klingt doch logisch, oder?«
    »Ich hatte einen eigenen Schlüssel?« erkundigte er sich überrascht und merkte erst hinterher, wie sehr er sich durch solche Fragen verriet.
    »Der Herr steh uns bei – sicher hatten Se den!« erwiderte sie verwundert. »Sie glauben doch wohl nich, daß ich die ganze Nacht auf den Beinen bleib, nur um Sie rein und rauszulassen, oder? Ein guter Christ braucht seinen Schlaf. Und das sind wirklich unchristliche Zeiten, wann Sie unterwegs sind, kann ich Ihnen sagen! Liegt sicher daran, daß Se ständig hinter so ’nem unchristlichen Gesindel her
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