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Das Gesicht der Anderen

Das Gesicht der Anderen

Titel: Das Gesicht der Anderen
Autoren: Beverly Barton
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Mr. McNamaras Anweisung hin zusammengetragen”, sagte Tessa. “Zunächst ist da die Liste ihrer besten Freundinnen.”
    G. W. nahm ein Blatt Papier vom Mahagonischreibtisch und reichte es Dante. “Wir haben schon mit allen Personen auf dieser Liste gesprochen, und keine von ihnen weiß …”
    “Wissen Sie, manchmal erzählen Jugendliche den Eltern nicht das, was sie einem Privatermittler erzählen würden”, erklärte Dante.
    Lucie sah von Tessa zu G. W. “Wenn wir wüssten, was der Auslöser für Leslie Annes plötzlich Verschwinden war, wäre das eine große Hilfe …”
    “Wir haben keine Ahnung”, unterbrach G. W. sie ein bisschen zu plötzlich.
    Dante vermutete, falls der alte Mann den wahren Grund nicht wusste, so hatte er doch sicher eine Ahnung. “Was meinen Sie, Ms. Westbrook?”, wandte er sich an Tessa. “Warum glauben Sie, ist Ihre Tochter weggelaufen?”
    “Ich habe Ihnen doch gesagt, wir haben nicht den blassesten Schimmer.” G. W. legte den Arm um die schmächtigen Schultern seiner Tochter.
    “Ist das richtig?” Dante sah Tessa direkt an.
    Tessa rieb nervös ihren Hals und lenkte damit unabsichtlich die Aufmerksamkeit nicht nur auf die großen Diamantohrringe, die sie trug, sondern auch auf eine Strähne ihrer goldblonden Haare, die sich widerspenstig auf dem hohen Plüschkragen ihres roten Pullovers kringelte. “Leslie Anne hat keinen Grund, von zu Hause wegzulaufen”, wiederholte Tessa. “Ihr Leben ist nahezu perfekt.”
    Dante ließ seinen Blick weiter auf Tessa gerichtet. Er wollte ihr das hochgesteckte Haar lösen. War ihr Haar so lang und seidig wie Amys? Selbst jetzt, nach siebzehn Jahren, konnte er noch spüren, wie Amys Haare über seine Brust strichen, während sie auf ihm saß und sie miteinander schliefen.
    Sie ist nicht Amy, ermahnte er sich. Amy ist tot.
    “Falls das der Fall sein sollte und ihr Leben nahezu perfekt ist, wieso sind Sie dann so sicher, dass sie nicht entführt wurde?”, fragte Dante.
    Tessa antwortete: “Weil sie …”
    “Was interessiert das?”, fuhr G. W. dazwischen. “Welchen Unterschied macht das schon? Sie ist weg!”
    Tessa drückte sanft die Hand ihres Vaters. “Lass doch, Daddy. Wir sollten den beiden von Leslie Annes Nachricht …”
    “Welche Nachricht?”, hakte Lucie sofort ein.
    Tessa sah ihren Vater an, als ob sie seine Erlaubnis abwarten wollte. Er nickte. Sie drückte noch einmal seine Hand, dann sah sie von Lucie zu Dante. “Leslie Anne hat mir einen Zettel mit einer Nachricht hinterlassen.” Tessa griff in ihre Hosentasche und zog einen neonpinkfarbenen Zettel hervor.
    Als wären sie die beiden Einzigen im Zimmer, ging Tessa direkt zu Dante hinüber und drückte ihm den Zettel in die Hand. Dabei berührte sie ihn. Die beiden starrten einander an, und ein seltsames Gefühl durchzuckte Dante.
    Er zwang sich, die Spannung zwischen ihnen zu brechen, und las die Nachricht, die Leslie Anne für ihre Mutter hinterlassen hatte.
    Mama, du hast mich schon wieder belogen, nicht wahr? Aber jetzt kenne ich die Wahrheit. Das heißt, ich glaube, es ist die Wahrheit. Warum konntest du bloß nicht ehrlich zu mir sein? Ich hasse dich und Großvater dafür. Ich bin verwirrt. Ich muss für mich selbst herausfinden, was wirklich stimmt und was ich von mir selbst halten soll. Versucht gar nicht, mich zu finden, denn ich werde erst wieder zurück nach Hause kommen, wenn ich bereit dazu bin. Falls ich überhaupt noch mal zurückkomme!
    Dante hob den Blick. Tessa stand nur wenige Zentimeter neben ihm, angespannt, die blauen Augen hinter einem Schleier von Tränen. “Worüber haben Sie Ihre Tochter belogen? Auf welche Wahrheit bezieht sie sich?”
    “Meine Güte, Moran! Das ist doch alles Unsinn”, sagte G. W. “Das Mädchen ist sechzehn. Sie ist im Moment etwas verwirrt, das ist doch normal in diesem Alter. Was diese Fantasiegeschichte soll, dass wir sie belogen hätten, weiß ich nicht. Aber es spielt ja auch nicht wirklich eine Rolle. Das Einzige, was eine Rolle spielt, ist, dass sie so schnell wie möglich gefunden wird, bevor sie am Ende noch in Schwierigkeiten gerät.”
    “Daddy, bitte.” Tessa sah Dante flehend an. Die Muskeln in seinem Magen verkrampften sich. “Wir haben … Ich habe meine Tochter ihr ganzes Leben lang belogen. Aber nur, um sie zu schützen.”
    “Um sie wovor zu schützen?”, wollte Dante wissen.
    “Vor meiner Vergangenheit.”
    Dante stockte der Atem.
Nein. Tu dir das nicht an. Tessa Westbrook hat nichts mit Amy
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