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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe
Autoren: Anne Rice
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waren alle da. Sergej Gorlagon sang russische Lieder und begeisterte alle damit. Auch Onkel Felix amüsierte sich königlich. Er bewunderte seinen Freund Sergej, ein wahrer Hüne. Felix lief immer zu Hochform auf, wenn gefeiert wurde. Er war ein geistreicher Unterhalter und ein wunderbarer Tänzer. Mein Vater dagegen hat immer nur darüber gejammert, was das wieder alles kostet.» Marchent zuckte mit den Schultern. «Ich muss das Haus noch reinigen lassen. Eigentlich hätte ich es tun sollen, bevor Sie kamen.»
    «Ich kann mir gut vorstellen, was für ein schöner Raum das hier sein kann», sagte Reuben. «Überall stehen Kübel mit Orangenbäumchen und Bananenstauden, ausladende Ficusbäume reichen bis zur Glaskuppel, dazu Orchideenbäume und blühende Rankengewächse … Ich würde hier morgens die Zeitung lesen.»
    Marchent lachte. «O nein, mein Lieber. Die Zeitung würden Sie in der Bibliothek lesen, das ist nämlich das Morgenzimmer. Hier aber hält man sich nachmittags auf, wenn die Sonne im Süden steht und alles mit Licht durchflutet. Und abends beobachtet man hier die Sonnenuntergänge. Wie kommen Sie übrigens auf Orchideenbäume?»
    «Ich liebe sie», sagte Reuben. «In der Karibik habe ich welche gesehen. Als Nordlichter sehnen wir uns wohl alle nach den Tropen. Wir waren einmal in einem kleinen Hotel in New Orleans, eigentlich nur eine Frühstückspension im French Quarter, aber auch dort säumten Orchideenbäume den Pool. Die lila Blüten fielen hinein. Die ganze Wasseroberfläche war ein einziger lila Blütenteppich. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen.»
    «Sie sollten wirklich ein Haus wie dieses haben», sagte Marchent. Für einen Moment verdüsterte sich ihre Miene, aber dann lächelte sie wieder und drückte Reuben die Hand.
    Ins weiß getäfelte Musikzimmer warfen sie nur einen kurzen Blick. Auch der Holzfußboden war weiß gestrichen. Der Flügel, sagte Marchent, habe die Luftfeuchtigkeit nicht vertragen und sei schon vor längerer Zeit entfernt worden. «Die Wandtäfelung und alles andere stammt aus einem Schloss in Frankreich.»
    «Das glaube ich gern», sagte Reuben und bewunderte die Holzschnitzereien und das verblichene Blumendekor der Tapete. Dieses Zimmer würde Celeste gefallen, denn sie liebte Musik und spielte gern Klavier, wenn sie allein war. Sie nahm es zwar nicht besonders ernst, aber wenn Reuben in ihrer Wohnung aufwachte, spielte sie manchmal das kleine Spinett, das dort stand. Doch, das Musikzimmer würde ihr bestimmt gefallen.
    Das große, düstere Esszimmer war eine Überraschung.
    «Das ist kein Esszimmer, sondern ein Bankettsaal», sagte Reuben.
    «Tatsächlich war es früher ein Ballsaal», sagte Marchent. «Aus der ganzen Umgebung kamen die Leute hierher, wenn ein Ball gegeben wurde. Als Kind war ich mal dabei.»
    Genau wie in der Diele dominierte hier eine dunkle Holztäfelung unter der hohen Decke, die dunkelblau und mit Sternen bemalt war. Es war eine gewagte Dekoration, aber sie war äußerst effektvoll.
    Sie gingen auf den Tisch zu. Er war mindestens sieben Meter lang, aber das Zimmer war so groß, dass er sich auf dem dunklen polierten Parkett fast verlor. Dann nahmen sie auf gegenüberliegenden, mit rotem Samt bezogenen Stühlen Platz.
    An der Wand hinter Marchent standen zwei große schwarze Kredenzen im Stil der Neorenaissance, deren exquisite Schnitzereien Jagdszenen darstellten. Sie enthielten schweres Silbergeschirr, Trinkkelche und stapelweise Leinentücher, bei denen es sich offenbar um Tischdecken und Servietten handelte. Andere Großmöbel – Schränke und Truhen – standen in den nicht beleuchteten Bereichen des Zimmers und waren nicht genau zu erkennen.
    Der riesige Kamin aus schwarzem Marmor war von zwei Ritterrüstungen eingefasst, und der Boden stellte eine mittelalterliche Kampfszene dar. Davon gab es bestimmt ein gut ausgeleuchtetes Foto, das Reuben für seinen Artikel verwenden konnte.
    Abgesehen vom knisternden Feuer stellten zwei barocke Kandelaber die einzige Lichtquelle dar.
    «In dieser Umgebung sehen Sie wie ein Fürst aus», sagte Marchent und lachte. «Als gehörten Sie hierher.»
    «Eine nette Vorstellung», sagte Reuben. «Aber dann wären Sie eine Herzogin, und wir befänden uns in einem österreichischen Jagdschloss nahe Wien, nicht in Kalifornien.»
    «Waren Sie schon mal in Wien?»
    «Oft», sagte Reuben und dachte daran, wie Phil ihn durch Maria Theresias Schloss geführt hatte und über alles, was sie sahen, etwas zu
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