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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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in diesem Fall drei Generationen, getrennt durch grob gerechnet jeweils fünfundzwanzig Jahre; und jede sendete auf einer anderen Frequenz. Und sie, die Arme, saß, wenig beneidenswert, in der Mitte.
    Sein ganzes Zimmer stinkt, und das nicht nur nach seinen dreckigen durchgeschwitzten Hemden und T-Shirts und Socken, sondern nach Bier. Und sagen läßt er sich natürlich auch nichts. Es würde mich nicht wundern, wenn er auch noch irgendwo eine Schnapsflasche oder so was versteckt hätte oder demnächst anfängt, die Schule zu schwänzen.
    Er hörte, wie sie gegen den Wunsch, lange und laut schreien zu wollen, ankämpfte, und hörte die Verzweiflung, die in ihr war. Er hörte alles, was sich in ihr an Traurigkeitund Wut und Hilflosigkeit aufgestaut hatte, hörte auch das, was sie ihm jetzt am liebsten alles sagen würde, alles, was sie ihm bereits mehr als nur einmal an den Kopf geworfen hatte: daß er ein Mann ohne Gefühl sei, ohne Ehrgefühl, ohne Gefühl für Verantwortung! Einer dieser Männer, die, wenn es ernst wird, versagen! Vielleicht war er wer, aber wer war er denn schon? Einer, der sich in ein Zimmer einschließe, um zu schreiben, aber nichts, wie sie ihm versicherte, nichts, was die Leute wirklich lesen wollten – was die von ihr durchgesetzte Überprüfung seiner Steuererklärung bestätigte: kaum Einkünfte aus Buchverkäufen. Was ihr am meisten zu schaffen machte, war, daß sie ihn mit nichts, was sie sagte, beleidigen, geschweige denn verletzen konnte. Er bot keinen Widerstand. Es schien ihn nicht einmal zu ärgern.
    Sie hörte, wie er sich eine Zigarette anzündete. Sag was, sagte sie.
    Laß ihn in Ruhe, schlug Chuck vor. Laß ihn einfach in Ruhe. Er hat einen Schlag zu verdauen, und keinen Gegner.
    Aha, sagte sie, und es klang bitter. Sie hatte nichts übrig für das, was sie nicht verstand; und schon gar nichts für die ruhige, freundliche Gelassenheit, in der Chuck sich gefiel, was nur bedeuten konnte, daß er sie mit ihren Sorgen alleine ließ. Auf welchem Berg sitzt du? Wie ist die Luft da oben? Sie hörte sich an, als sei sie, obwohl Tränen in den Augen, nahe dran, in Gelächter auszubrechen, begnügte sich dann aber mit einem müden elenden Seufzer und gab sich geschlagen. Was für ein Glück, dir begegnet zu sein!
    Was für ein Glück, einen Sohn wie ihn zu haben, sagteChuck. Einer, der nicht besser und nicht schlechter, nicht gescheiter oder dümmer ist als jeder andere Junge, der da draußen durch die Gegend läuft. Das ganz normale gesunde, robuste Exemplar eines Jungen! Er hat alle Talente, die einer in seinem Alter haben sollte. Ich habe ihn einmal beobachtet, wie er einem alten Mann über die Straße geholfen hat – was er, hätte ich ihn darauf angesprochen, sicher abgestritten hätte. Was, wie ich finde, ganz in Ordnung ist.
    Wie schnell alles gegangen war! Wie unwiderruflich schnell! Ich bin schwanger, hatte sie gesagt, aus Angst vor seiner Reaktion am Telefon. Dann hatte sie geweint. Und dann aufgelegt.
     
    Kaum zu zweit, schon zu dritt! – wie Onkel Theo seine Erfahrungen mit Frauen auf den Nenner gebracht hatte; mit drei ehelichen und, grob geschätzt, mindestens der gleichen Anzahl unehelicher Kinder durfte er als Autorität gelten. Chuck, der damals noch ein halbes Kind war, erfuhr das alles erst später, als der Onkel, ein Likörfabrikant, schon unter der Erde lag und sein süffiger Lebenswandel als Todesursache herhalten mußte. Aber zeitlebens behielt Chuck das Bild eines elegant gekleideten Mannes in Erinnerung, der einzige in der Verwandtschaft, der sich mit ihm wie mit einem Erwachsenen unterhielt, mit ihm über alles redete, was ihm gerade einfiel, unterbrochen nur von der besorgten Reaktion der Mutter, die ihrem Bruder befahl, sofort mit dem Unsinn aufzuhören – er nickte zustimmend und redete weiter –, und ihren Sohn ermahnte, einfach nicht hinzuhören, über Geld (»Ist unwichtig, solange man keine finanziellenProbleme hat!«), über Afrika (»Da ist es dunkel und unheimlich! Hände weg!«) und (»Das Schöne ist, daß es zu viele davon gibt«) über Frauen natürlich, von denen er die Hände offenbar auch als Ehemann nie hatte lassen können. Er wäre jedenfalls jetzt, da Chuck wie betäubt auf das Telefon starrte und ihm die Nachricht, womöglich Vater zu werden, wie ein Verhängnis erschien, der Richtige, um sich Trost, Rat, Aufmunterung, Verständnis, was auch immer, zu holen.
     
    Der Anruf war gegen Mitternacht gekommen und hatte Chuck an seiner
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