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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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hatte, in die Ohren gedreht, richtig rein in die Gehörgänge, um ihm Musik, seine Musik, vorzuspielen, laut, brutal laut, versteht sich, und, bevor es dem Vater die Trommelfelle zerfetzt hätte, die Gelegenheit genutzt, ihm gleich auch noch alles Wissenswerte über die bei ihm und seinen Freunden gerade angesagte Richtung zu erzählen, alles, worauf es ankam bei Metal, von Speed-Metal im Unterschied zu Thrash-Metal, zu Gothic- und Black- und Death-Metal.
    Lauter als Iron Maiden , als Black Sabbath oder Deep Purple in ihren (und Chucks) besten Jahren? Lauter als die großen Krachmacher der Rockgeschichte? Noch lauter als ein Riff von Jimi Hendrix in voller Lautstärke? Was für eine Wohltat es einmal auch für einen wie Chuck gewesen war, alles Leid und alle Leere im Lärm, den eine Rockband live auf einer Bühne produzierte, vergessen zu können, mit ausgebreiteten Armen zu schweben, die schwindende Schwerkraft zu spüren, die ziellose Begeisterung. Nichts verdarb einem mehr die Laune. Willkommen in den Höhlen des Himmels! Na dann, sagte er, lehnte sich zurück, legte die Füße auf den Tisch, dann mal los.
    Und siehe da, der Sohn gehorchte. Er brauchte zwar erst einmal ein paar Minuten, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, von einem Erwachsenen, was seine musikalischen Vorlieben betraf, ernst genommen zu werden, aber dann freute er sich – er legte richtig los. Kopfhörer waren nicht nötig, weil sie es über die großen Boxen laufen ließen.
    Die nächste Stunde ging damit drauf, wie man Wände, womöglich gleich das ganze Haus, zum Beben brachte!
    Eigentlich war Chuck durch damit, aber die achtzig Dezibel pusteten hinein in die tote Glut in ihm. Es war nicht ganz das, was ihm gefiel, aber die Sache war die alte.Die alte Wut, und in alter Stärke. Wut war noch immer die Waffe! Wut war, strategisch gesehen, die Wunderwaffe gegen leere Tage, gegen Gesichter, die leer waren, selbst gegen den Kasten Bier, der leer war. Sie war gegen Langeweile gut, gegen Einsamkeit, gegen schlechte Noten und genial gut gegen Liebeskummer. Wut war der wichtigste Verbündete im Kampf gegen den Lärm, den die Welt sonst noch produzierte. Ihr wurde alles geopfert, alle Lust, alles Bangen – und die letzten Groschen für »was zum Anglühen«, wie sie es nannten, billiger Alkohol wie mazedonischer Rosé-Wein aus dem Supermarkt, Sonderangebot, 1.99 pro Plastikflasche. Chuck war zwar inzwischen viel empfindlicher geworden, was Lärm anging, aber es konnte auch heute noch passieren, daß er ein paar seiner alten Scheiben in einer Lautstärke abspielte wie damals, als er – wie sein Sohn heute – einfach Lust auf die Wut hatte, die man hatte.
     
    Was ist mit der Gitarre, wollte Chuck wissen, als es vorbei war.
    Welcher Gitarre?
    Deiner. Die, die ich dir gekauft habe? Du kannst es doch nicht vergessen haben.
    Ach so. Sie stand gut verpackt an die Wand gelehnt neben dem Kleiderschrank, und er hielt sie trotz anderer Interessen in Ehren. Sie war das Geschenk seines Vaters.
    Spielst du?
    Nein, sagte er ohne jede Anteilnahme. Es sei, sagte er, eine Saite gerissen.
    Eine Saite?
    Ja!
    Und weiter?
    Nichts weiter. Er starrte auf den Tisch und wartete, und als ihm das zu dumm wurde, suchte er seine Hosentaschen nach etwas ab, das ihn ablenken würde. Er förderte schließlich den Rest von einem Butterkeks zutage, den er sich in den Mund schob, was es ihm noch leichter machte, nicht reden zu müssen.
    Chuck war danach, den Scheißkerl mal kräftig durchzuschütteln. Der Junge war mehr als fällig. Aber so war es eben mit Söhnen in seinem Alter, noch waren sie keine Männer, aber sie gingen auf Tuchfühlung damit, kämpften sich ran an die Sache.
    Eine Gitarre sei etwas Besonderes, erklärte er ihm, fast etwas Heiliges, und das in so gut wie jedem Land der Erde. Einer, der sie gut spielen konnte, leise so gut wie laut, nannte sein Instrument einmal »eine kleine Kirche, die ich in einem Koffer mit mir herumtragen kann«. Und deshalb wirst du, egal wo es dich hin verschlägt im Leben, nach Amerika, nach Mexiko, nach Brasilien oder sonstwohin, nie verhungern, wenn du eine dabeihast. Mit einer Gitarre im Gepäck hast du das Glück zum Greifen nah, das kleine Glück der Träume und das große ihrer Erfüllung. Du packst sie aus und spielst. Ihr Klang hat mit der Sehnsucht der Menschen zu tun, ihrer ewigen Sehnsucht nach Liebe, nach Abenteuer, nach einem anderen Leben. Mit allem, wovon sie träumen. Träume, Erinnerungen! Alles, was einmal war. Je
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