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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk
Autoren: Wolfgang Borchert
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initiierte Publikation war mehr als nur eine geschickte Maßnahme des Verlagsmarketings. Zwei Erzählungsbände, ein kleines Gedichtheft, ein Bühnenmanuskript: ein Werk wurde so nicht sichtbar. Zudem waren die Erstausgaben in der unmittelbaren Nachkriegszeit herausgekommen: Das stark holzhaltige, rasch vergilbende und zerbröckelnde Papier machte sie schnell unansehnlich. Mit der Währungsreform im Juni 1948 endete die Zwangs- und Zuteilungswirtschaft; es gab wieder einen Markt,auf dem auch die Ware Buch sich behaupten mußte. Rowohlt wählte eine besonders edle Ausstattung (Leinen mit Schutzumschlag, ein Foto des Dichters als Frontispiz) und entschied sich für ein Dünndruckpapier, das sonst nur für Klassikerausgaben verwendet wurde, das sog. Bibeldruckpapier. Das Buch wurde nicht nur im deutschen Feuilleton, Ost wie West, breit besprochen, es wurde auch im Ausland, u. a. im Londoner «Times Literary Supplement» oder der Pariser «Critique», wahrgenommen. Der Verlag konnte die ersten Verträge über fremdsprachige Lizenzausgaben schließen. Vor allem enthielt «Das Gesamtwerk» eine zwar kleine, aber gewichtige Abteilung mit nachgelassenen Texten, darunter die klassisch gewordene Erzählung «Schischyphusch» und das Manifest «Dann gibt es nur eins: Sag nein!». Dieser pazifistische, in einer apokalyptischen Vision mündende Appell wurde zum bekanntesten Text Borcherts, der erst bei Demonstrationen gegen die Wiederaufrüstung und den Atomkrieg, angesichts neuer Krisenherde und Bedrohungen auch später nie seine Aktualität verlor und heute noch auf Ostermärschen und Friedenskundgebungen als leidenschaftliche Mahnung und Warnung immer wieder vorgetragen wird.
    Borchert war der repräsentative Autor der Stunde Null, der damals proklamierten «Kahlschlag-Literatur». Im «Ruf», jener Zeitschrift, aus der die einflussreiche Gruppe 47 hervorging, hatte Hans Werner Richter im September 1946 konstatiert: «Vor dem rauchgeschwärzten Bild dieser abendländischen Ruinenlandschaft, in der der Mensch taumelnd und gelöst aus allen überkommenen Bindungen irrt, verblassen alle Wertmaßstäbe der Vergangenheit.» Ahnungslos, was den Gesundheitszustand des Autors anbelangte, hatte Richter im November 1947 Borchert zur zweiten Tagung der Gruppe eingeladen. In den «Frankfurter Heften», März1948, bewunderte Alfred Andersch den «hämmernden Staccato-Stil, der plötzlich in großartig dynamische Passagen ausschwingen kann». Zugleich kündigte sich schon ein Paradigmenwechsel in der Literatur an, analog zum Wandel der gesellschaftlichen Realität. Bereits 1949 war die «Kahlschlag-Literatur» Vergangenheit, und Andersch zog folgendes Fazit: «Zweifellos war in den Hungerjahren, die dem Zweiten Weltkrieg folgten, ein Stil, wie ihn Wolfgang Borchert einmalig und endgültig geprägt hat, bei den meisten Schriftstellern in nuce vorhanden. Borchert hat sich in der Sprengkraft seiner expressiven Aussage, die in unserer Literatur immer ihren denkwürdigen Platz behalten wird, selbst geopfert. Das kann nicht kopiert werden.»
    Doch die Wirkung von Borcherts Werk wurde davon kaum berührt. Es erwies sich als erstaunlich zeitunabhängig, obwohl ihm doch die Entstehungszeit eingebrannt ist wie selten einem anderen Werk. Der verzweifelte Schrei Beckmanns wird auch in einer Welt verstanden, in der Hunger und Elend der Nachkriegsrealität in weite Ferne gerückt sind. Zudem machte das berührende Schicksal Borcherts und sein früher Tod den Autor zum Mythos, der schon 1949 entsprechende Gegenreaktionen bei der Kritik provozierte. «Verschwommene Symbolik», monierte Emil Belzner, «primitives, schemenhaftes Theater», fügte er hinzu. Gunter Groll empfand das Werk als «schwer erträgliche Mischung aus Pathos und Sentimentalität». Er fällte das Verdikt: «Pubertätsrebellion». Streicht man die negative Konnotation, ist hier etwas Richtiges erkannt: Borchert ist ein Autor für junge Menschen. Die eigentümliche Mischung aus romantischer Schwärmerei und zornigem Aufbegehren hat über Generationen Jugendliche fasziniert, die auf der Suche nach Orientierung diesen Autor stets für sich neu entdeckten.
    Der Verlag hat zur Popularisierung Borcherts beigetragen,indem er, bald nach Übergang der Rechte von Meyer-Marwitz an Rowohlt, preisgünstige Sonderausgaben des «Gesamtwerks» veranstaltete und als rororo-Taschenbuch «Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen» herausbrachte. «Diese Auswahl, die nun um den Preis eines
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