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Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk
Autoren: Wolfgang Borchert
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Akademischen Rundschau» löste Protestbriefe aus, in denen die Ablösung des Redakteurs gefordert wurde. Auch Gustaf Gründgens, bewundertes Vorbild des jungen Schauspielers, störte sich an der Szene und wünschte eine Überarbeitung. «Aus gewissen Kreisen werde ich schon sehr lebhaft beschossen», teilte Borchert Tilla Hardt mit, nachdem «Lesebuchgeschichten» in der «Neuen Zeitung» erschienen war, einer «amerikanischen Zeitung für die deutsche Bevölkerung» . (Untertitel), deren Feuilleton von Erich Kästner geleitet wurde. Borcherts Sammelbesprechung aktueller K Z-Berichte für eine Hamburger Tageszeitung wurde monatelang verschoben – die Redaktion wollte in der Weihnachts- und Neujahrszeit die Arbeit nicht bringen, «um nicht zu viele Leute zu ärgern». In einem erst kürzlich aufgetauchten Brief an den Emigranten Bernhard Jolles, dem er kurz seine Vita schilderte, bemerkte Borchert: «Hoffentlich ist Ihnen der politische Häftling nicht unsympathisch, hier in Deutschland kann man auch heute noch die tollsten Dinge damit erleben.» Andererseits wollte er seine Inhaftierung auch nicht als «Reklameschild» nutzen.
    Aus heutiger Distanz sind diese Reibungsflächen kaum noch nachvollziehbar; im Gegenteil wird der Erfolg von «Draußen vor der Tür» als ebenso bereitwillig akzeptiertes wie fatales Entlastungs-Angebot interpretiert, weil das Stück die Naziverbrechen ausblendet, weder die Kriegsschuldnoch den Holocaust thematisiert. Man hat Borchert vorgeworfen, daß er nur das Schicksal der Deutschen, vor allem der Kriegsheimkehrer, im Blick hat, nicht das Leiden der anderen, speziell auch nicht das Schicksal der Millionen verfolgter und ermordeter Juden. Es ist jedoch müßig, aus der Sicht nachfolgender Generationen die mangelhafte Aufarbeitung der Nazizeit zu monieren und ein Schuldbewusstsein einzufordern, unter dem die damalige Gesellschaft zerbrochen wäre. Damals mussten Täter und Opfer, Mitläufer, Schuldige und Verführte einerseits, Verfemte und Verfolgte andererseits, ein Auskommen miteinander finden. Der Preis für den notwendigen Konsens war Verschweigen und Verdrängen; der Vergangenheit stellte man sich lieber nicht, Wiederaufbau lautete die Parole. Nicht zuletzt dank Borchert lässt sich vergegenwärtigen, wie es um die Mentalität im Deutschland der Nachkriegszeit bestellt war. Gemeinsam war das Erlebnis des Zusammenbruchs – nicht nur des politischen Regimes, sondern vor allem der materiellen Versorgungslage und der sozialen Sicherheit. Die «Reeducation» wurde von den Alliierten nur halbherzig betrieben; die Verordnungen der Besatzungsmacht und die Urteile in den Entnazifizierungsverfahren wurden als willkürlich und ungerecht empfunden. Schlimmer noch war der Verlust aller Aussicht auf Zukunft. Borchert schrieb gegen das Vergessen, auch gegen das Vergessen, selbst schuldig geworden zu sein, vor allem formulierte er das Gefühl seiner Generation: betrogen um ihre Jugend, verraten von allen, den lieben Gott eingeschlossen. Er kam damit dem allgemeinen Lebensgefühl entgegen: Man fühlte sich als Opfer. Die Deutschen, die vor kurzem noch die Welt beherrschen wollten, reagierten auf die Niederlage mit Larmoyanz, statt nach der eigenen Verantwortung zu fragen. Dass Borchert dies bewusst war, ist dem zitierten Briefwechsel mit Jolleszu entnehmen: «Was sind wir für ein Volk! Erst treten wir die anderen, aber wenn wir wiedergetreten werden, dann ist der Jammer groß!» Ein politischer Kopf war Borchert nicht, aber er hat das Nachkriegstrauma authentisch erfasst.
    Die Menschen in jenen Jahren – vor der Währungsreform und der Gründung der Bundesrepublik – verlangten nach Orientierung, sie hungerten auch nach Kultur. Die Theater waren oft zerstört, es musste improvisiert werden. Der Literaturbetrieb war stark eingeschränkt, nicht nur wegen der allgemeinen Papierknappheit. Ohne Lizenz konnten Zeitungen und Zeitschriften nicht erscheinen, keine Bücher gedruckt, keine Filme gedreht werden. Es gab eine Zensur, aber auch indirekte Einflussnahme von den Besatzungsmächten. Besorgt notierte Ledig-Rowohlt, «Draußen vor der Tür» sei «für die französische Zone verboten worden. Gründe unbekannt». (Die Franzosen dementierten: Man habe lediglich einem bestimmten Theater in Tübingen abgeraten, das Drama aufzuführen – wie verbindlich der Rat der Besatzungsmacht auch immer war, es war selbstverständlich ein Eingriff in die Kunstfreiheit.) Neue Zeitungen und Zeitschriften, meist recht
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