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Das geraubte Paradies

Das geraubte Paradies

Titel: Das geraubte Paradies
Autoren: Bernd Perplies
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Stift in ihre Hosentasche. Dann nahm sie den Briefbogen, faltete ihn zusammen und steckte ihn ebenfalls ein. »Du bist blöd«, stellte sie fest, als sie begann, die Plane des Wagens aufzuknöpfen. Sie wollte hier raus, vielleicht zu Jonan, ganz gleich, ob vor der Tür noch das Unwetter tobte oder nicht.
    »He … was?« Pitlit klang verblüfft. »Ich habe doch recht, oder nicht?«
    Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Kann schon sein.«
    »Und?«
    »Ich wollte es trotzdem nicht hören.« Sie wandte sich ab, nur um sich gleich wieder mit ungehaltener Miene umzudrehen. »Weißt du, manche Leute vermissen ihre Eltern. Und dann tun sie törichte Dinge, zum Beispiel Briefe schreiben, die womöglich nie ankommen werden.«
    Carya hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie merkte, wie unangemessen heftig ihre Reaktion ausgefallen war. Und wie gemein sie sich gerade Pitlit gegenüber verhalten hatte, der als Straßenkind nie so etwas wie fürsorgliche Eltern gehabt hatte, sah man vielleicht von Ugo ab, einem Mitglied der Untergrundorganisation Ascherose in Arcadion, der ihm so etwas wie ein väterlicher Freund gewesen war – bevor der Lux Dei ihn erschossen hatte.
    Sie ließ die Plane wieder sinken und sah Pitlit, dessen Miene sich verdüstert hatte, reumütig an. »Es … es tut mir leid. Das war unangebracht.«
    Geräuschvoll zog der Straßenjunge die Nase hoch und nickte knapp. »Schon gut. Ich verstehe dich. Du hast in Paris so viel Mist erlebt, da muss man ja durchdrehen.«
    »Ich drehe nicht durch«, stellte Carya klar, wobei ihr tadelnder Tonfall durch ein Schmunzeln gemildert wurde. Sie wandte sich um und knöpfte die Plane, durch die es kalt und feucht hereinzog, wieder zu. Vielleicht wartete sie doch besser, bis sich die Elemente draußen ein wenig beruhigt hatten.
    »Ja … nein … schon klar.« Pitlit seufzte. »Am besten sage ich heute gar nix mehr. Geht doch nur schief.«
    »Genau«, pflichtete ihm Carya bei. »Setz dich in eine Ecke und sei einfach ein bisschen still. Ich schreibe derweil meinen Brief fertig, der meine Eltern nie erreichen wird.«
Oder vielleicht doch
, fügte sie in Gedanken hinzu. Man konnte ja nie wissen.

Kapitel 2
    Fröstelnd hockte Jonan in der zum Kutschbock umgebauten Fahrerkabine des ehemaligen Lastwagens und starrte hinaus ins Unwetter. Er hatte seine Lederjacke zugeknöpft und die Beine angezogen, um sie nicht dem Wind und dem Regen auszusetzen. Zu seinem Glück stand die Lastkutsche so, dass er sich im Windschatten befand und trotz der relativ offenen Konstruktion der Kabine vor dem Unwetter weitgehend geschützt war.
    Auf seinen Knien lag quer sein Templersturmgewehr. Die klobige, schwere Waffe war eigentlich für den Einsatz mit einer passenden Templerrüstung gedacht, deren Kraftverstärkerservos ihr Gewicht erträglich machten. Bedauerlicherweise besaß Jonan seine Rüstung nicht mehr. Er hatte sie weggegeben, im Austausch für ein Navigationsgerät aus der Zeit vor dem Sternenfall, das ihnen auf ihrer Reise quer über den Kontinent den Weg weisen sollte. Bislang hatte sich der flache schwarze Navigator als enorm wertvoll erwiesen, und genau genommen wäre es auch ziemlich gefährlich gewesen, als arcadischer Templer durch ein Land wie Francia zu ziehen, das gerade erst im Begriff war, behutsame diplomatische Bande zum langjährigen Feind Arcadion zu knüpfen.
    Dennoch vermisste Jonan seine Rüstung bisweilen. Er mochte bloß ein Jahr in den Reihen der Schwarzen Templer, der ebenso berühmten wie gefürchteten Garde des Tribunalpalasts, gedient haben, aber in dieser Zeit war ihm die schwere Panzerung, die zum modernsten Kriegsgerät gehörte, das der Lux Dei in diesen Tagen, Jahrzehnte nach dem Sternenfall, noch besaß, beinahe zu einer zweiten Haut geworden.
    Angestrengt blickte Jonan in den Regen. Die Lastkutsche parkte am nordwestlichen Ausgang des Rastplatzes, der einst Scharen von Motorwagenfahrern als kurzer Ort des Innehaltens gedient haben mochte. Heute erinnerten bloß noch die verfallenen, leeren Ruinen eines Treibstofflagers und einer Gaststätte daran. Daneben erstreckten sich die geteerten Parkplätze, auf denen nun, in einem Kreis unweit einer Baumgruppe aufgestellt, die Lastkutschen von Mustards Karawane standen.
    Von seinem Sitzplatz aus hatte Jonan einen guten Blick auf die endlose Handelsstraße, die sich, wie er dank seines Navigators wusste, von Paris kommend einmal quer durch Francia bis zum Mittleren Meer zog. Wobei »guter Blick«
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