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Das Gelübde einer Sterbenden

Das Gelübde einer Sterbenden

Titel: Das Gelübde einer Sterbenden
Autoren: Émile Zola
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hatte, rief sich die Erinnerungen seiner Jugend in die Seele zurück, ließ die geringsten Vorfälle der schrecklichen Todesnacht an seinem innern Auge vorüberziehen und gab sich ganz den traurigen Gedanken hin, die sein Herz in den tiefsten Kummer versetzten. Trotzdem hörten gleichzeitig seine Ohren, was die Dienstboten miteinander redeten, und drangen die Worte in all ihrer Roheit und mit voller Klarheit bis zu seinem Verstande vor. Ob er gleich nichts hören wollte, so entging ihm doch nichts. Während sein innres Ich blutete, während er sich ganz der Verzweiflung überließ, nahm er gewissermaßen Teil an den gemeinen Reden der Kammerdiener und Kutscher.
    Hinter ihm gingen zwei Bediente, die sich sehr lebhaft unterhielten. Der Eine hielt es mit dem Herrn, der Andre nahm die Partei der verstorbenen gnädigen Frau. Dieser sagte:
    »Sehr vernünftig von der armen Frau, daß sie der Welt Lebewohl gesagt hat. Da unten in der Erde ist sie besser dran, als hier oben. Denn das Leben, das sie mit ihrem Mann führte, war schon nicht mehr schön.«
    »Was weißt Du denn, ob sie sich glücklich fühlte oder nicht?« entgegnete der Andere. »Sie sah doch immer ganz zufrieden aus und sie kriegte doch auch keine Prügel von ihrem Mann. Sie war bloß stolz und spielte sich als Opferlamm auf, weil sie Andre triezen wollte.«
    »Ich weiß aber, was ich weiß. Ich habe sie weinen sehen und ich kann Dir sagen, es schnitt mir ins Herz. Gekeilt hat ihr Mann sie freilich nicht, aber er hielt Frauenzimmer aus, und ich denke mir, sie hat sich darüber zu Tode gegrämt, daß er sie nicht mehr lieb hatte.«
    »Er hat sie bloß deshalb links liegen lassen, weil sie ihm langweilig geworden war. Sie hatte doch gar keine Lustigkeit. Ich weiß wohl, ich möchte so’ne Frau nicht haben, wie die war, so klein von Gestalt und doch grauelte man sich vor ihr, so ernst gebärdete sie sich immer. Sie hat auch bloß das Gerücht ausgesprengt, ihr Mann hielte sich Frauenzimmer. Denn hast Du etwa eine Liebste von ihm gesehen?«
    »Doch! Eine, die ich selbst einen Brief von ihm gebracht habe. Eine Blondine mit ‘ne kecke Fratze, die ich nicht gemocht hätte; so mager war sie. Sie lachte mich ins Gesicht, gab mich ein paar Klappse auf den Rücken und sagte Du zu mir; da konnte ich gleich sehen, was sie wert war. Als Antwort sagte sie bloß zu mir: Vergiß nicht und sage Deinem Herrn, er soll mir nicht wieder Dein dummes Gesicht schicken.«
    Der andere Bediente fand die Erzählung seines Kameraden sehr ulkig. Offenbar war die Blondine nach seinem Geschmack.
    »Na meinetwegen. Was is denn aber dabei, wenn ein reicher Kerl sich ein Möbel hält? Was die Vornehmen sind, die machen’s Alle so. Bei meine letzte Herrschaft ging der Mann auch des Nachts oft durch. Da schaffte sich aber die Frau einen Liebsten an und auf die Weise war alle Welt zufrieden. Konnte unsre Gnädige es nicht ebenso machen, statt sich zu Tode zu grämen?«
    »Das ist nicht Jeden sein Fall.«
    »Ich glaube, unsere Gnädige wäre nichts für mich gewesen.«
    »Ich hätte sie schon leiden können. So sanft, so gut und das Gesicht gefiel mir auch. Hübscher als den Herrn seine Blondine war sie zehnmal!«
    Daniel konnte ihnen nicht länger zuhören. Er wendete sich plötzlich um, und der Aerger, der sich in seinen Mienen aussprach, schüchterte die beiden Schwätzer ein, so daß sie es für geraten hielten, sich von etwas Andrem zu unterhalten.
    Bei dieser Angelegenheit hatte Daniel bemerkt, daß der Kammerdiener Louis, der neben ihm ging, der Einzige unter der Dienerschaft war, der sich anständig benahm. Der kalte, gemessene Mann hatte gewiß auch die Unterhaltung der Andern mit angehört, aber seine Würde war dieselbe geblieben, seine Lippen fältelte dasselbe geheimnißvolle Lächeln wie immer.
    Daniel spann sich wieder in seine trüben Gedanken ein. Er sann jetzt nach über das geheime Herzeleid auf das Frau von Rionne angespielt hatte, und begann zu begreifen, welcher Natur ihre Leiden gewesen waren. Erklärten ihm doch die Reden, die er gehört hatte, was er in seiner kindlichen Unschuld nicht hatte erraten können. Er errötete über diese Gemeinheiten und schlug die Augen nieder, als hätte er selber all die Schlechtigkeiten begangen. Die Tote mußte ja noch in ihrem Sarge zürnen!
    Ganz besonders verletzte seinen Zartsinn die freche Ungenirtheit der Schwätzer. Kaum daß die Leiche erkaltet war und während sie zu Grabe getragen wurde, fanden sich schon Leute, denen es so zu
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