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Das Geheimnis von Vennhues

Das Geheimnis von Vennhues

Titel: Das Geheimnis von Vennhues
Autoren: Holtkoetter Stefan
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greifen zu können. Er spürte ihn direkt vor sich.
    Und im nächsten Moment trat der Fremde in den schwachen Schein des Kerzenlichts. Sein Gesicht tauchte hinein wie in eine Flüssigkeit. Die dunklen Augen spiegelten die Flamme, er stand nun direkt vor ihm. Es war Willem.
    Peter stieß einen Schrei aus. Die Kerze rutschte aus seiner Hand und fiel zu Boden. Augenblicklich herrschte Finsternis.
    In Panik stolperte er zurück. Mit dem Bein stieß er gegen den kleinen Tisch. Der stürzte polternd zu Boden, und die Flasche mit dem Orangensaft zerschlug auf den Fliesen. Hektisch sah er sich um. In der Dunkelheit war jedoch nichts zu erkennen. Er konnte nicht sagen, wo Willem sich befand.
    Die Taschenlampe!, schoss es ihm durch den Kopf.
    Er tastete sich zum Sessel vor, riss die Decke zur Seite und fasste zwischen die Polster. Irgendwo dort musste sie liegen. Endlich bekam er den Griff zu fassen. Er riss sie an sich und fummelte hektisch am Schalter.
    Endlich durchschnitt ein heller Lichtkegel die Dunkelheit. Peter leuchtete zur Tür, dann zur Waschmaschine, hinter das Regal, neben den Sessel. Wie ein Schwert jagte der Lichtkegel durch den Raum.
    Doch er war allein. Willem war nirgends zu sehen.
    Sein Atem beruhigte sich langsam. Mit großen Schritten ging er zur Dielentür und drückte sie fest ins Schloss. Gern hätte er sich weiter im Haus umgesehen. Doch damit musste er bis morgen früh warten. Vorerst war er in der Waschküche gefangen.
    Er richtete den Tisch wieder auf und schob die Scherben der Saftflasche mit dem Fuß an die Wand. Dann hob er die Kerze auf und setzte sich an den Tisch.
    »Hier bin ich. Hier drüben.«
    Peter schoss mit dem Lichtkegel in die Zimmerecke. Doch nichts.
    »Hab doch keine Angst. Erkennst du mich denn nicht?«
    Die Stimme war so ruhig und vertraut, dass mit einem Mal alle Anspannung von Peter abfiel. Plötzlich wusste er gar nicht mehr, weshalb er sich so aufregte. Es ist Willem, sagte er sich. Wovor hast du eigentlich Angst?
    Willem war bei ihm. Irgendwo in der Dunkelheit. Peter erinnerte sich an seine Züge. Sie waren sanft und voller Wärme gewesen. Niemals hätte Willem jemandem etwas antun können. Er war so rein gewesen, so empfindsam. Eine Flut von Bildern erfasste ihn. Er war wieder siebzehn Jahre alt, und die Verbrechen waren niemals geschehen. Es hatte keinen Tod gegeben und keine Trauer und keinen Hass.
    »Du musst weg von hier«, sagte Willem. »So bald wie möglich.«
    Doch die Sehnsucht der langen Jahre lastete wie ein Mühlstein auf Peters Schultern. »Wo warst du denn die ganze Zeit?«, fragte er.
    »Wir können jetzt nicht reden. Du bist in großer Gefahr. Sie werden dich finden. Du musst von hier weg.«
    »Aber ich will nicht weg. Ich will …«
    Weiter kam er nicht.
    Eine helle Mädchenstimme drang durch das Haus.
    »Willem! Peter! Wo seid ihr denn?«
    Es war Gabriele Brook. Ihre Stimme war noch immer die einer Sechzehnjährigen. Sie war überhaupt nicht gealtert. Peter erinnerte sich an Gabriele. Ihr Gesicht war damals schön und lebendig gewesen, und ihr Lachen hell und klar.
    »Hast du etwa versucht, mich zu küssen?«, rief sie fröhlich.
    »Nein.« Peter stand auf, er lauschte in die Dunkelheit. »Wie kommst du darauf?«
    Sie lachte kokett und übermütig.
    »Magst du mich denn küssen? Bekomme ich einen Kuss von dir?«, fragte sie kichernd. »Küss mich doch, wenn du dich traust!«
    Willem war nicht mehr da. Er war fort, gemeinsam mit Gabriele.
    Peter stand auf und ging zur Tür. Er erinnerte sich an die gemeinsamen Sommernächte im Weizenfeld. Es war, als wäre das alles erst gestern gewesen. War es möglich, dass Willem dorthin gelaufen war?
    Er würde dann zwischen den duftenden Ähren liegen und auf ihn warten. So wie damals bei ihren heimlichen Treffen. Und über ihnen wäre nichts außer dem leuchtenden Sternenhimmel.
    Peter trat mit der Taschenlampe aus der Waschküche heraus. Sie würden die Nacht ganz für sich haben. Niemand würde sie stören. Nur er und Willem und der Sternenhimmel. So wie es damals gewesen war. Ein letztes Mal blickte er sich um und sah in die traurige Waschküche. Dann trat er hinaus ins Freie, auf der Suche nach dem duftenden Weizenfeld.
    Keine fünfzig Meter vom Hof entfernt verlief die Landstraße, die zum Dorf führte. Ein einsamer Radfahrer war unterwegs. Es war Josef Kemper, der am Nachmittag aus Münster zurückgekehrt war und nun mit dem Rad zum Kartenspielen fuhr. Er wollte den grässlichen Tag möglichst schnell vergessen
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