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Das Geheimnis von Sittaford

Das Geheimnis von Sittaford

Titel: Das Geheimnis von Sittaford
Autoren: Agatha Christie
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fünfundzwanzig… Oh, dann war es also doch kein Scherz und auch kein Schwindel!»

4
     
    A m Morgen, der dieser Schreckensnacht folgte, standen zwei Männer im Arbeitszimmer des toten Captains.
    Inspektor Narracott blickte sich aufmerksam um, und auf seiner Stirn erschien eine senkrechte Falte. «Ja», sagte er nachdenklich.
    Er war ein sehr fähiger Beamter, geschätzt wegen seiner ruhigen, geduldigen Art, seines logischen Denkens und seiner scharfen Beobachtungsgabe, die ihm Erfolg verschafften, wo manch anderer Mann versagt haben würde. Von Exeter herbeigerufen, um den Fall zu übernehmen, war er mit dem ersten Morgenzug angekommen und stand nun in Trevelyans Zimmer, das er, unterstützt von Sergeant Pollock aus Exhampton, einer gründlichen Prüfung unterzogen hatte.
    Draußen hüllte ein makelloses Weiß die Landschaft ein, und von der fahlen Wintersonne, die darüber lag, verirrte sich ein Strahl auch in das Fenster. Reichlich hundert Meter von diesem entfernt begrenzte ein Zaun das Grundstück, und dahinter stiegen gleich die Hänge der schneebedeckten Hügelkette empor.
    Noch einmal beugte sich Inspektor Narracott über den Leichnam und erkannte – selbst athletisch gebaut – sofort den Sportsmann, die breiten Schultern, die schmalen Hüften und die kräftig entwickelte Muskulatur. Der kleine Kopf saß wohlgeformt auf den Schultern, und der seemännische Spitzbart war sorgfältig gestutzt. Wie er mittlerweile wusste, hatte Captain Trevelyan ein Alter von sechzig Jahren erreicht, doch er sah aus wie ein Mann von ein- oder zweiundfünfzig.
    «Eine seltsame Geschichte», grübelte der Inspektor. «Was halten Sie davon, Pollock?»
    «Tja…» Sergeant Pollock kratzte sich den Kopf. Als vorsichtiger Mann liebte er es nicht, mehr als unumgänglich nötig zu äußern. «Tja… ich möchte beinahe annehmen, dass der Täter an die Fenstertür kam, das Schloss aufbrach und das Zimmer zu durchsuchen begann. Captain Trevelyan wird wohl oben gewesen sein…»
    «Wo liegt sein Schlafzimmer?»
    «Oben, Sir. Über diesem Zimmer.»
    «Zu dieser Jahreszeit ist es um vier Uhr bereits dunkel, und folglich hat der Captain, wenn er sich in seinem Schlafzimmer aufgehalten haben sollte, dort das Licht brennen gehabt, was dem Einbrecher nicht entgangen sein kann. Aber lassen wir das vorläufig mal… Wie also weiter?»
    «Nun, ich denke, der Captain hat ein Geräusch gehört und ist runtergekommen, um nachzusehen. Der Einbrecher aber, als er die Schritte vernimmt, packt jenes Filzding da, verbirgt sich hinter der Tür, und als der Captain das Zimmer betritt, erhält er von hinten einen Schlag über den Schädel.»
    Inspektor Narracott nickte.
    «Ja, an der einen Tatsache ist nicht zu rütteln, nämlich dass er niedergeschlagen wurde, als er das Gesicht dem Fenster zukehrte. Aber nichtsdestoweniger gefällt mir Ihre Schilderung nicht, Pollock.»
    «Nein, Sir?»
    «Nein, weil ich, wie gesagt, nicht an Häuser glaube, in die man nachmittags gegen fünf Uhr einbricht.»
    «Vielleicht – vielleicht hat er gemeint, eine günstige Gelegenheit…»
    «Hier kann von günstiger Gelegenheit nicht die Rede sein. Wurde er etwa durch ein offen stehendes Fenster angelockt? Nein. Es war eine überlegte, wohlerwogene Tat. Und sehen Sie sich dieses heillose Durcheinander an. Wohin aber würde ein Einbrecher zuerst seine Schritte lenken? Ins Speisezimmer oder die Anrichte, wo das Silber verwahrt wird.»
    «Das stimmt», gab der Sergeant zu.
    «Und dieser Wirrwarr, dieses Chaos», fuhr der Inspektor fort, «diese herausgezogenen und durchwühlten Schubladen… pah! Das ist Schwindel!»
    «Schwindel?»
    «Betrachten sie die Fenstertür, Sergeant. Sie war nicht durch Schloss und Riegel gesichert und wurde nicht mit Gewalt aufgebrochen; sie war vielmehr nur geschlossen, und man hat sie von außen zersplittert, um den Anschein eines gewaltsamen Aufbrechens zu erwecken.»
    Pollock untersuchte das Schloss aus nächster Nähe und konnte einen Ausruf nicht unterdrücken.
    «Wahrhaftig, Sie haben Recht, Sir», erklärte er dann ehrerbietig. «Wer mag das nur getan haben?»
    «Jemand, der uns Sand in die Augen streuen will und dem das nicht geglückt ist!»
    Sergeant Pollock schmeichelte das «uns» ungemein. Er ahnte nicht, dass der kluge Inspektor Narracott mit solch kleinen Gesten die Herzen seiner Untergebenen zu gewinnen wusste.
    «Dann war es also kein Einbruch, Sir, sondern sozusagen ein Täuschungsmanöver.»
    «Ja», bestätigte der Inspektor.
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