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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen
Autoren: Rafik Schami
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Sicherheit für einen zweiten radikalen Reformschritt gewinnen. Im Atelier wirkte er auf seine Mitarbeiter abwesend, und er verspürte auch keine Lust zu arbeiten. Er ging lange spazieren und kam erst um Mitternacht nach Hause. Seine Frau fragte ihn, ob er einen Unfall gehabt habe, weil er so blass und zerstreut auf sie wirke. Er schüttelte nur den Kopf und ging sofort schlafen, doch kurz nach Mitternacht wachte er auf und schlich leise in die Küche. Er schrieb die Namen von mehreren Gelehrten auf, die in Frage kamen.
     
    Hamid hatte sich in der folgenden Zeit bemüht, jeden der bekannten Islamgelehrten auf seine Seite zu ziehen, doch alle reagierten aggressiv. Der eine empfahl ihm, nach Mekka zu pilgern, um dort um Heilung zu beten, und der andere weigerte sich, ihm beim Abschied die Hand zu geben. Drei weitere lehnten es ab, mit ihm zu reden, noch bevor er ihnen verriet, was er von ihnen wollte.
    Konnte es sein, dass ihn einer von ihnen bei den dunklen Kreisen verraten hatte?
    Alles deutete darauf hin, aber sicher war er auch jetzt, nach all den Jahren, noch nicht.
    Der Minister hatte recht behalten, denn bereits ab September, als die Reform bekannt wurde, und noch bevor das Schuljahr anfing, ging eine Welle der Empörung durch die Moscheen der Großstädte, und die Fanatiker hetzten gegen den Kultusminister und seine Helfer als Ungläubige und mancher Scheich rief zur Tötung der Abtrünnigen auf.
    Aber der Staatspräsident reagierte entschlossen, stellte sich hinter seinen Kultusminister und ließ die Redner verhaften und wegen Volksverhetzung unter Anklage stellen.
    Hetzreden wurden nicht mehr gehalten, aber geflüstert wurde viel. Auch gegen ihn, deshalb empfahl ihm sein Meister Serani damals, freitags in die Omaijaden-Moschee zu gehen und dort nicht nur zu beten, sondern auch durch die Gespräche mit den angesehensten Männern der Stadt die Vorurteile gegen ihn abzubauen.
     
    Jetzt im Gefängnis erst wurde ihm so einiges klar. Bereits am 10. Oktober 1953, eine Woche nach Einführung des neuen Alphabets mit achtundzwanzig Buchstaben, hatten eine Moschee und die zentrale Verwaltung des großen Friedhofs ohne Begründung ihre Aufträge zurückgezogen. Das hatte er damals in sein Tagebuch eingetragen, aber nicht einmal kommentiert, weil er eben in Aufträgen schwamm. Erst jetzt im Gefängnis erinnerte er sich daran.
    Das war der Grund seines Schreckens.
    Spätestens ab Mitte 1953 und nicht erst Ende ’56 oder Anfang ’57 hatten ihn die Fanatiker auf ihre Abschussliste gesetzt. Sein Name als Kalligraph stand in jedem Schulbuch. Dass sie ihn nicht getötet hatten, war ein Teil ihres gemeinen und raffiniert eingefädelten Plans. Sie wollten ihm nicht erlauben, als Märtyrer zu sterben. Sie ruinierten zunächst seinen Ruf, dann wollten sie ihn lebendig begraben, ihn jeden Tag quälen, bis er sich den Tod wünschte.
    »Nicht mit mir«, rief er ziemlich laut, »ihr werdet euch wundern, wozu ich imstande bin.«

 
    Ende einer Geschichte und
    Anfang eines Gerüchts

 
     
    I m Winter 1957 begannen Tischler und ihre Helfer in der großen Gefängnistischlerei mit den Vorarbeiten für ein großes Kalligraphiegemälde. Ende April sollte der weithin bekannte Kalligraph Ali Barake aus Aleppo anreisen und mit Hamid gemeinsam an dem großen Gemälde arbeiten.
    Dieser hatte bereits zugesagt. Die Vergoldung des Rahmens sollte unter Hamids Leitung im Mai 1958 angefangen und bis Mitte Juni abgeschlossen werden.
    Gefängnisdirektor al Azm war überglücklich, denn dieses Gemälde sollte den Namen seiner Familie als Spender in einer neuen Moschee in Saudi-Arabien verewigen. Obwohl er Atheist war, kannte sein Stolz keine Grenzen. Ihm als Jurist waren alle Religionen gleichgültig, aber nicht der Name seiner Sippe und schon gar nicht der Respekt, den ihm nun alle Verwandten zollten.
    Von nun an ließ er Hamid besonders verwöhnen. Ab Januar bekam der Kalligraph eine warme Mahlzeit vom nahe gelegenen Restaurant Aschi . Hamid schlief so ruhig wie noch nie.
    Doch nicht lange.
    Im Februar 1958 schloss Syrien übereilt eine Union mit Ägypten. Eine düstere Phase der Geschichte nahm ihren Anfang. Über Nacht wurden alle Parteien aufgelöst und alle Zeitungen verboten und eine Verhaftungswelle jagte die andere.
    Ende März 1958 wurde al Azm als Gefängnisdirektor abgesetzt und kurz darauf verhaftet. Man warf ihm vor, Mitglied einer vom CIA unterstützten Organisation zu sein, die zum Sturz des neuen Regimes aufgerufen habe.
    Ein neuer
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