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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen
Autoren: Rafik Schami
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Regierungszeitungen.
    Sie umgaben ihn an diesem Tag wie Kinder ihren sterbenden Vater, dankten ihm für alles, was er für sie getan hatte, und lobten sein Lebenswerk. Sati’ al Husri lächelte bitter zu all den Reden. Die Reformkommission, der er vorstand, war gescheitert wie alles, was er unternommen hatte. Kein einziges Wörtchen durfte er aus den arabischen Wörterbüchern streichen. Die arabische Sprache blieb mit all ihren Unzulänglichkeiten wie vor tausend Jahren. Seine Idee von der Gründung einer vereinten arabischen Nation erlebte tausendundeine Niederlage. Die arabischen Länder waren zerstritten wie nie zuvor, und statt sich zu vereinigen, waren sie bemüht, sich durch Spaltungen zu vermehren. Das größte Debakel aber ereilte ihn und seine Idee spätestens im Sommer 1967, als Israel den Arabern ihre größte Niederlage beibrachte. Das war ein Jahr vor seinem Tod. Deshalb konnte er die schleimigen Lobeshymnen seiner Schüler nicht ertragen. Er hob seine müde Hand: »Hört auf zu heucheln. Ihr langweilt mich. Ich gehe von euch als gescheiterter Mann. Aber nicht nur ich. Hat euch die verheerende Niederlage gegen Israel noch nicht genügt? Und was habt ihr dagegen getan? Statt nach den Fehlern zu suchen, habt ihr in den arabischen Nachschlagewerken über siebzig Synonyme für das Wort Niederlage gefunden und habt neue dazu erfunden.
    Vielleicht seid ihr einfach infantil und begreift Politik und Weltordnung nicht. Gut, dann sagt mir, liebe Kinder, wie man das in euren Ländern nennt«, bat er mit gekünstelt lieblichem Ton, hob seine rechte Gesäßhälfte und presste einen solch mächtigen Furz hervor, dass seine Frau im Nebenraum aus dem Schlaf hochfuhr.
    »Wie nennt man das in euren Ländern?«, fragte der alte Mann und lächelte.
    Seine Schüler waren sich nicht einig. Sie nannten, jeder für sich, etliche arabische Synonyme, die in ihren Ländern für das Wort Furz gebraucht wurden.
    »Und ihr wollt eine Nation sein?«, unterbrach Husri die Streithähne laut. »Ihr könnt euch nicht einmal über einen Furz einigen«, schrieer und lachte so heftig, dass seine Aorta platzte. Er war auf der Stelle tot.
    Als seine Frau das Zimmer betrat, waren die Männer bereits verschwunden. »Es riecht hier nach Verwesung«, soll ihr erster Kommentar gewesen sein.
    Aber kehren wir zu der Sitzung zurück, bei der Hamid anwesend war und bei der der Kultusminister nicht ganz überzeugt war, dass sein Lehrer in nur fünf Jahren, wie er geprotzt hatte, das neue Wörterbuch würde produzieren können. Er schaute in die Runde. Die Männer nickten nachdenklich.
    »Auch die Art und Weise, wie wir lernen, ist rückständig. Wir prügeln unsere Kinder, bis sie auswendig lernende Papageien sind. Das Prinzip des Auswendiglernens ist in der Wüste verständlich und nützlich, aber hier haben wir inzwischen Bücher, die das Wissen besser als jedes Gedächtnis aufbewahren. Das Nachplappern erzieht zu Untertanen und erwürgt die Fragen der Kinder. Sie geben an, mit zehn Jahren ganze Bücher zu rezitieren, ohne aber eine Zeile davon verstanden zu haben. Unsere Kinder sollen durch Fragen verstehen lernen und nicht nur auswendig wiedergeben. Schluss damit. Ich will ab nächstem Schuljahr eine Methode einführen, die ich in Frankreich beobachtet habe, das Alphabet soll den Kindern durch sinnvolle Wörter beigebracht werden, so wie wir sprechen, so sollen die Kinder lernen. Die Methode heißt Ganzwortmethode.« Der Minister hielt inne und schaute prüfend auf seine Gäste. »Apropos Alphabet. Ich bin nicht der Meinung wie manche Möchtegern-Reformer, dass sich die arabische Sprache modernisiert, wenn wir unsere Kultur verleugnen und unsere Sprache mit lateinischen Buchstaben schreiben, wie Mustafa Kemal Atatürk es den Türken aufgezwungen hat. Auch sind solche Vorschläge nicht neu oder einfallsreich. Die in Spanien verbliebenen Araber begannen nach der endgültigen Niederlage im Jahre 1492 und der Vertreibung der Araber aus Angst und zur Tarnung Arabisch mit lateinischen Buchstaben zu schreiben. Man benannte die Schrift nach ihnen, so wie vieles in der Architektur ihren Namen trägt, ›Mudacherz‹.
    Aber auch der französische Orientalist Massignon, der Iraker Galabiund der Ägypter Fahmi haben sich vor langer Zeit solche geschmacklosen Scherze erlaubt, und nun kommt der Libanese Said Akil und tut so, als hätte er das Atom mit einer Zange gespalten. Er schlägt wieder einmal vor, lateinische Buchstaben einzuführen, damit wir
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