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Das Geheimnis der toten Voegel

Das Geheimnis der toten Voegel

Titel: Das Geheimnis der toten Voegel
Autoren: Anna Jansson
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nicht verstehen konnte, aus seiner Umarmung losgerissen und ihn dann den ganzen Mittsommerabend lang nicht mehr angeschaut. Und danach – war es zu spät gewesen.
    Ruben wandte das Gesicht mit den blassblauen Augen zum Abendhimmel und schniefte. In der letzten Zeit überfiel ihn oft die Rührung. Als Kind weint man, weil man traurig ist oder sich wehtut, und wenn man alt ist, weint man, weil man gerührt ist, wenn man »Geh aus, mein Herz« hört oder sich an eine alte Liebe erinnert. Er rückte die Hose im Schritt zurecht und lächelte in sich hinein. Auch der Körper erinnerte sich noch.
    Hoch über dem Taubenschlag kreiste ein Schwarm Tauben. Ruben blieb ganz still stehen und sah zu, wie sie auf dem Blechdach landeten und gurrend auf und ab spazierten, ehe sie sich zur Nacht hineinbegaben. Er erkannte die Tiere am Aussehen und wusste ihre Namen. General von Schneider, Mr. Pomoroy, Sir Toby, Mr. Winterbottom, Panik, Kakao und Evert Taube drängelten sich und pickten einander mit den Schnäbeln, als sie durch die Luke zu ihren Weibchen und Jungen und dann zum abendlichen Futter wollten. Same procedure, jeden Abend.
    Ganz außen auf dem Dachfirst saß eine neue Taube, die dem Schwarm zum Schlag gefolgt sein musste. Es war ein kräftiger, leicht braun gefleckter Vogel mit weißem Kopf. Wahrscheinlich ein Männchen. Den musste er sich näher anschauen. Ruben hakte die niedrige Tür zum Schuppen auf, schlich die knarrende Holztreppe zum Taubenschlag hoch und dann zu den Säcken mit den Hanfsamen. Das waren Leckereien, die die neue Taube würden hineinlocken können. Er stellte Luke und Gitter so ein, dass die Vögel in den Taubenschlag hinein-, aber nicht hinausspazieren konnten, und wartete in der Dunkelheit, während die untergehende Sonne den Himmel und das Meer orangerot färbte und eine glühende Sonnenstraße sich ausbreitete.
    Die Vögel schlugen sich um das Futter. Von Schneider hackte Winterbottom auf den Kopf und kriegte als Antwort dafür einen Schlag mit dem Flügel ab. Wer meint, Tauben seien die wahren Friedenssymbole, der täuscht sich. Das hatte Ruben schon bei vielen Gelegenheiten gesagt. Es gibt keine Vogelart mit mehr Aggression und Herrschaftsgebaren als die Taube, aber als Symbol für Liebe und Treue funktioniert sie ausgezeichnet. Die besten Flugkünstler sind die Männchen, deren Weibchen gerade brüten oder Junge haben. Sie geben alles dafür, schnell nach Hause zu kommen, was man bedenken sollte, wenn man für einen Wettkampf Brieftauben auswählt.
    Ruben hatte schon angefangen, die Tauben auszusuchen, mit denen er dieses Wochenende am Brieftaubenwettbewerb seines Clubs teilnehmen würde. Die Tauben würden früh am Sonntagmorgen von der Gotska Sandön losgeschickt werden. Zuvor würden die Uhren der Brieftaubenbesitzer so kalibriert werden, dass sie synchron und nach der offiziellen Zeit liefen. Auf diese Weise ersparte man sich nachträgliche hässliche Diskussionen, wenn der Schnitt in Kilometer und Zeit ausgerechnet wurde. Aber natürlich gab es auch Leute, die schummelten. Petter Cederroth hatte einmal ein kaum sichtbares Loch in das O vom Hersteller des Glasdeckels gebohrt. Dann hatte er die Uhr mit Hilfe einer Nadel bei einer passenden Zeit angehalten, um eine Wahnsinnszeit stempeln zu können. Damit man ihm nicht auf die Schliche kam, hatte er kurz vor dem Öffnen der Uhren die Zeiger vorgerückt, sodass die Zeit wieder stimmte. Ganz schön schlau, hätte sich nicht seine Frau verplappert, als sie einen in der Krone hatte. Ruben kannte niemanden, der in leicht angeheitertem Zustand so mitteilsam war wie Sonja Cederroth.
    Wenn es um richtig viel Geld gegangen wäre, wie bei den Wettkämpfen auf nationaler Ebene, und nicht nur um den Wanderpreis »Die Silbertaube«, dann wäre Cederroth sicherlich aus dem Brieftaubenverband ausgeschlossen worden. Aber der Club schwieg die Sache tot. Er war einfach so nett, und noch dazu war er richtig gut darin, Gotlandsdricka zu brauen. Das musste zu seiner Verteidigung gesagt werden.
    Der neu angekommene Tauber hockte immer noch auf dem Dach und hatte es nicht eilig, auch wenn er hin und wieder neugierig in den Schlag äugte. Ruben holte den Feldstecher heraus und betrachtete ihn. Wirklich ein kräftiger Vogel und vom Flug offenbar sehr mitgenommen. Ein Metallring am Bein als Markierung. Also war er ein Ausländer, in Schweden trugen die Tauben ja Plastikringe. Ein Flugtourist auf Besuch? Bestimmt war die Taube lange unterwegs gewesen, ehe sie sich
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