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Das Geheimnis der toten Voegel

Das Geheimnis der toten Voegel

Titel: Das Geheimnis der toten Voegel
Autoren: Anna Jansson
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dem Schwarm angeschlossen hatte. Demnach sollte der Hunger größer sein als das Misstrauen, und der Vogel würde schon in den Schlag kommen. Das war doch das Letzte, jetzt musste man sich noch lächerlich machen und aufs Blechdach steigen, um das Tier herunterzuholen.
    Ruben kroch mit seinem Fangkäfig heraus. Die Taube flatterte auf und setzte sich dann ganz außen auf die Regenrinne und schaute zu, wie die Käfigfalle aufgestellt wurde. Ein Stöckchen mit einer Nylonschnur hielt die Klappe auf, und im Käfig selbst lagen appetitliche Hanfsamen auf dem Futterbrei. »Jetzt komm! Komm näher!« Ruben kroch zurück und stand dann unbeweglich mit der gespannten Nylonschnur in der Hand hinter der Wand. »Nun komm schon! Noch ein Stück. Genau, ich sehe doch, dass du hungrig bist.« Die Taube beäugte den Käfig mit halb geschlossenen Augenlidern und lächelte frech. Ruben kam es höhnisch vor, wie sie lief und den Kopf in den Nacken warf. »Was bist du für ein Vogel, und woher kommst du?« Es war doch richtig aufregend, sich vorzustellen, wie weit die Taube geflogen sein könnte.
    Cederroth hatte das ganze Frühjahr damit angegeben, dass er eine Taube aus Polen bei sich gefunden habe, aber niemand hatte sie sehen können, ehe sie wieder davongeflogen war, und Jönsson hatte vorigen Sommer bewiesenermaßen einen Vogel aus Dänemark und neulich einen aus Skåne gehabt. »Ja, gut so. Jetzt rein mit dir. Nein.« Die Taube hatte vor dem Käfig kehrtgemacht und marschierte jetzt wie ein General mit steifem Rücken in die entgegengesetzte Richtung. Dann fing sie bei der Regenrinne noch mal an. Jetzt kam sie zurück. Ruben war bereit. Er hielt den Atem an. Kein Geräusch durfte den Vogel erschrecken. Die Taube machte den entscheidenden Schritt. Jetzt vermochte sie den Leckereien nicht mehr zu widerstehen, und die Klappe schlug zu.
    Ruben trug den Käfig mit der Taube über das Dach und öffnete ihn nicht, ehe er im Schlag war. Es war wirklich ein prächtiger Tauber, wenn auch das Federkleid während der langen Reise ein wenig gelitten hatte. Ruben breitete die Flügel nacheinander in seiner Hand aus und sah sie sich gründlich an. Am rechten fehlten zwei Federkiele, und am linken war ein Kiel zu kurz, aber wieder im Wachsen begriffen. Um die Beringung näher betrachten zu können, musste er seine Brille aufsetzen. Er fand sie auf der Holzleiste über den Transportkäfigen, rieb den weißen Staub vom Glas und besah sich den Ring. Das sah aus wie russische Buchstaben, wirklich interessant. Ruben gab den Tauben frisches Wasser und fütterte sie mit einer Maismischung. Dann ging er ins Haus, um Cederroth anzurufen. Doch der war bei seinem Bruder in Martebo, und wie Sonja sagte, würde er erst am späten Abend zurückkehren.
    Ein Blick auf den Gratiskalender vom ICA-Laden zeigte Ruben, dass schon der 29. Juni war. Er ließ sich auf einen Stuhl sinken und betrachtete durch das Fenster das wunderschöne Farbenspiel, als die rote Sonnenscheibe langsam ins Meer glitt. Es ist eine große Gunst und eine Wohltat für die Seele, so zu wohnen, dass man die Sonne über dem Meer untergehen sehen kann, dachte er. Dann stand er auf, um sich einen Kaffee einzugießen und eine Scheibe Brot abzuschneiden, die er dann mit Fleischwurst belegte, zwei dicke Scheiben auf einer soliden Unterlage aus Butter, keine künstliche Margarine mit Plastikkügelchen drin. Das Meer war am Abend so unglaublich schön anzusehen. Man wurde richtig andächtig und sanftmütig davon und voller Gedanken darüber, was es jenseits der Zeit wohl noch geben mochte.
    Er dachte an das Wort »Versöhnung«, und er dachte an Angela. Gab es ein schöneres Wort als Versöhnung? Mit dem, was geschehen war, Frieden zu schließen, es nicht zu vergessen oder zu verringern, sondern sich ohne ein Gefühl des Schmerzes daran zu erinnern. Sich damit abzufinden, dass es nicht so gekommen war, wie man in seinem Herzen gedacht und gehofft hatte. So weit zu kommen, dass man sich mit seinem Schicksal versöhnte.
    Angelas Vater war es gewesen, der mit den Brieftauben angefangen hatte. Als er sie leid war und stattdessen anfing, Golf zu spielen, hatten Ruben und sein kleiner Bruder Erik die Tauben übernommen und den Schlag zu sich nach Hause an den Södra Kustvägen in Klinte verlegt. Aber Erik hatte auch irgendwann keine Lust mehr gehabt und sich lieber ein Motorrad angeschafft. Und so kam es, wie es kommen musste.

2
    Im Licht der ersten Morgendämmerung kam Angela übers Meer auf ihn zu
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