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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern
Autoren: Kristin Hannah
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bringen würde; der Mann war ein stadtbekannter Trinker und hatte über die Jahre viele Kunden verloren.
    Nachdem sie den gesamten Vertrag durchgesehen hatte, klappte sie die Connelly-Akte zu und öffnete die zum Smithson-Fall. Die nächsten Stunden konzentrierte sie sich ganz auf ihre Arbeit, bis sie um fünf Uhr schließlich die Kanzlei verließ und nach oben ging.
    Normalerweise genoss sie es, die Abendnachrichten zu sehen, aber heute war sie unruhig, weil sie die ganze Zeit unbewusst darauf wartete, dass das Telefon klingelte. Als sie es schließlich nicht mehr aushielt, zog sie sich Jeans, einen weißen Rollkragenpullover und eine lange, schwarze Weste an.
    Ein kurzer Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass es einer der seltenen Januarabende mit einem wolkenlosen dunkelvioletten Himmel war.
    Sie räumte ihre Sachen zusammen und beschloss, einen Spaziergang nach Water’s Edge zu unternehmen. Vielleicht bekäme sie durch die frische Luft einen klaren Kopf, und etwas Bewegung konnte sie auch, weiß Gott, gebrauchen. Von hier bis zu ihrem Elternhaus war es nicht weit.
    Zufrieden mit ihrem Entschluss (alles war besser als Fernsehen), machte sie sich auf den Weg zur Main Street.
    Oyster Shores war wie so viele Küstenstädtchen im westlichen Washington T-förmig angelegt. Das eine Ortsende bestand aus vier Straßenblöcken, die sich am Ufer des Hood Canal erstreckten. Dort befanden sich die Touristenläden: der Kajakverleih, die Eisdiele, das Fischrestaurant und mehrere Souvenirshops. Im Radius zwischen Canal und Highway hatte Winona fast ihre gesamte Kindheit verbracht. Als Halbwüchsige war sie oft in der Bücherei gewesen und hatte Nancy Drew und Laura Ingalls Wilder gelesen; im Grey Park hatte sie Fuß- und Softball spielen gelernt; an warmen Sommertagen waren sie und ihre Schwestern oft zum King’s Market gegangen, um sich Süßigkeiten zu kaufen.
    Obwohl sie all das schon eine Million Mal gesehen hatte, blieb sie doch am Shore Drive stehen, um die spektakuläre Aussicht zu genießen. An anderen Orten der Welt, die nicht so ungezähmt und wild waren wie dieser hier, war ein Kanal eine schmale Wasserstraße ohne große Strömung, die man bequem mit Flachbooten befahren konnte. Aber der Hood Canal war ein breiter, strömungsreicher Seitenarm des Puget Sound, der fünfzig Meilen ins Landesinnere ragte und der einzige echte amerikanische Fjord jenseits von Alaska war.
    Winona wandte sich nach links und wanderte aus der Stadt. Als sie am Waves-Restaurant vorbeikam, gingen die Straßenlaternen an und warfen ihr anheimelndes goldenes Licht auf die grauen Bürgersteige und die schwarz asphaltierten Straßen. In der kalten Jahreszeit waren nur wenige Boote und noch weniger Touristen zu sehen, und die Straßen wirkten still und sogar etwas verlassen. Der nixenförmige Windsack am Fahnenmast vor dem Bed & Breakfast Canal House hing schlaff herab. Im Juni wimmelte es auf diesen Straßen von Sommergästen, die alle Parkplätze besetzten und sich am Anleger des Beachparks nach vorn schummelten, aber jetzt war alles ruhig. Die Stadt gehörte den dreizehnhundert Menschen, die hier zu Hause waren.
    Die Einfahrt zur Ranch wurde von einem rustikalen Holzschild angezeigt, das Winonas Urgroßvater 1881 selbst geschnitzt hatte. Sie bog dort auf die lange, sanft geschwungene Schotterzufahrt ein. Zu beiden Seiten befanden sich Weiden, die notdürftig von einem alten Zaun geschützt wurden. Den Zufahrtsweg säumten zwei Gräben mit braunem Brackwasser. Schwarze glitschige Ahornblätter und zahlreiche Schlaglöcher mit schmutzigem Regenwasser verlangten dringend nach Abhilfe.
    Warum wollte ihr Vater nicht einsehen, dass sie ihm helfen konnte? Sie wollte schon – ein weiteres Mal – das demütigende Treffen mit ihm im Kopf durchgehen, als sie Lukes Truck sah.
    Sie blieb stehen und ließ ihren Blick schweifen.
    Da waren sie, Luke und ihr Vater. Sie saßen auf der Veranda und unterhielten sich wie alte Freunde. Sie ging den matschigen Weg am Stall vorbei und dann hinunter zum Farmhaus.
    Als sie sich ihnen näherte, lachte Luke gerade über etwas, was Dad gesagt hatte.
    Winona sah ihren Vater lächeln. Ein Anblick, der sie abrupt innehalten ließ. Es war, als wäre das Meer plötzlich rot oder der Mond grün geworden. »Hallo, ihr beiden«, sagte sie und trat auf die unterste Stufe der Veranda. Das alte Holz knarzte unter ihrem Gewicht und rief ihr sofort in Erinnerung, dass sie zu dick war und die Treppe repariert werden musste.
    Luke
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