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Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Titel: Das Geheimnis der Schnallenschuhe
Autoren: Agatha Christie
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Mann.
    «Also, auf Wiedersehen, Mr Poirot. Ich hoffe, Sie haben in meinem Haus keinen Verbrecher aufgespürt?»
    Poirot sagte lächelnd: «Vorhin erschien mir jeder wie ein Verbrecher! Jetzt wird sich das vielleicht geändert haben.»
    «Ah, ja – vor oder nach dem Zahnarzt: Das macht einen gewaltigen Unterschied! Obwohl wir die Leute heutzutage nicht mehr so quälen wie früher. Soll ich für Sie nach dem Aufzug klingeln?»
    «Nein, nein, ich gehe zu Fuß.»
    «Wie Sie wollen, der Aufzug ist gleich neben der Treppe.»
    Poirot ging hinaus. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er, wie das Wasser im Waschbecken zu rauschen begann. Er ging die zwei Stockwerke hinunter. Vom letzten Treppenabsatz aus sah er, wie der angloindische Colonel zur Tür geführt wurde.
    Der Mann sieht gar nicht so übel aus, dachte Poirot besänftigt. Vermutlich ein ausgezeichneter Schütze, der manchen Tiger erlegt hat. Ein brauchbarer Mann – eine regelrechte Stütze des Empire.
    Er betrat das Wartezimmer, um Hut und Stock zu holen, die er dort gelassen hatte. Zu seinem Erstaunen war der unruhige junge Mann immer noch da. Ein weiterer Patient las den Field.
    Poirots neuerwachte wohl wollende Stimmung veranlasste ihn, den jungen Mann näher zu betrachten. Er sah immer noch so wild aus, als wolle er einen Mord begehen – aber nicht eigentlich wie ein Mörder, dachte Poirot freundlich. In kurzer Zeit würde dieser junge Mann nach überstandener Folter zweifellos mit vergnügtem Lächeln die Treppe hinabspringen und niemandem etwas Böses wünschen.
    Der Boy kam herein und sagte klar und deutlich: «Mr Blunt.»
    Der Mann, der am Tisch saß, legte den Field hin und stand auf. Mittelgroß, in mittleren Jahren, weder dick noch mager. Gut angezogen, ruhig. Er verließ hinter dem Boy das Zimmer.
    Einer der reichsten und mächtigsten Männer Englands – und doch musste er wie jeder gewöhnliche Mensch zum Zahnarzt gehen und dort dieselben Seelenqualen durchmachen wie jeder andere!
    Dieser Gedanke schoss Poirot durch den Kopf, während er Hut und Stock nahm und zur Tür ging. Auf der Schwelle sah er sich noch einmal um und erschrak: Der junge Mann musste in der Tat sehr böse Zahnschmerzen haben!
    In der Halle blieb Poirot einen Augenblick vor dem Spiegel stehen, um seinen Schnurrbart in Ordnung zu bringen, der durch Mr Morleys Bemühungen leicht durcheinander geraten war.
    Eben hatte er das Werk zu seiner Zufriedenheit vollendet, als der Lift wieder herunterkam und der Boy unter misstönendem Pfeifen aus dem hinteren Teil der Halle auftauchte. Beim Anblick Poirots brach er seine musikalische Darbietung abrupt ab und kam nach vorn, um ihm die Haustür zu öffnen.
    In diesem Augenblick fuhr ein Taxi vor, die Tür öffnete sich, und ein weiblicher Fuß wurde sichtbar. Poirot betrachtete den Fuß mit galantem Interesse. Eine schmale Fessel, ein Strumpf von recht guter Qualität. Gar kein schlechter Fuß. Aber der Schuh gefiel ihm nicht. Ein nagelneuer Lackschuh mit einer großen, blitzenden Schnalle. Er schüttelte den Kopf.
    Nicht schick – geradezu provinziell!
    Als die Dame aus dem Taxi stieg, blieb sie mit dem andern Fuß an der Tür hängen und riss sich dabei die Schnalle ab, die klirrend aufs Pflaster fiel. Ritterlich sprang Poirot hinzu, hob die Schnalle auf und überreichte sie der Eigentümerin mit einer Verbeugung.
    O weh! Eher fünfzig als vierzig. Zwicker auf der Nase. Unordentliches, gelblichgraues Haar – ein Kleid, das ihr nicht stand: ein scheußliches, niederdrückendes Grün! Sie dankte ihm: Der Zwicker fiel zu Boden, die Tasche folgte. Poirot, höflich wie immer, wenn auch nicht mehr galant, hob beides auf. Sie ging die Stufen zum Haus Queen Charlotte Street 58 hinauf, und Poirot wandte sich an den Chauffeur, der mürrisch sein mageres Trinkgeld betrachtete. «Sie sind frei, was?»
    Der Chauffeur sagte düster: «Ja, ja, ich bin frei.»
    «Ich auch», sagte Hercule Poirot. «Frei von allen Sorgen!»
    Er bemerkte, dass der Mann ihn mit tiefem Misstrauen ansah. «Nein, lieber Freund, ich bin nicht betrunken. Ich bin nur beim Zahnarzt gewesen und muss erst in sechs Monaten wieder hin. Das ist ein wundervolles Gefühl.»

2
     
    E s war Viertel vor drei, als das Telefon läutete.
    Hercule Poirot saß gerade in seinem Lehnstuhl und verdaute zufrieden ein ausgezeichnetes Mittagsmahl. Er rührte sich nicht, als das Klingelzeichen ertönte, sondern wartete darauf, dass der treue George erscheinen und das Gespräch entgegennehmen
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