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Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Titel: Das Geheimnis der Schnallenschuhe
Autoren: Agatha Christie
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und machten den Sorgen der unmittelbaren Gegenwart Platz. Er fühlte vorsichtig mit der Zunge und nahm sein kleines Notizbuch aus der Tasche.
     
    « Zwölf Uhr, Queen Charlotte Street 58. »
     
    Er versuchte, sich wieder in die frühere triumphierende Stimmung zu versetzen, aber vergeblich. Die Welt war zu sechs dürftigen Worten zusammengeschrumpft: Zwölf Uhr, Queen Charlotte Street 58.
     
    Im Glengowrie Court Hotel in South Kensington war das Frühstück vorbei. Miss Sainsbury Seale saß in der Halle und unterhielt sich mit Mrs Bolitho. Ihre Tische im Speisesaal standen nebeneinander, und sie hatten sich am Tage nach Miss Seales Ankunft vor einer Woche kennen gelernt.
    Miss Sainsbury Seale sagte: «Wissen Sie, meine Liebe, der Schmerz hat wirklich aufgehört! Nicht mehr der kleinste Stich! Ich möchte eigentlich fast anrufen und…»
    Mrs Bolitho unterbrach sie: «Also, jetzt seien Sie nicht töricht, meine Liebe. Sie gehen zum Zahnarzt, und dann haben Sie es hinter sich.»
    Mrs Bolitho war eine große, imponierende Person mit einer tiefen Stimme. Miss Sainsbury Seale war ein Wesen um die Vierzig mit gebleichtem Haar, das ihr in unordentlichen Locken um den Kopf hing. Ihre Kleider hatten keine rechte Form und sahen irgendwie künstlerisch aus; sie trug einen Zwicker, der dauernd herunterfiel, und redete viel.
    Jetzt sagte sie schüchtern: «Aber ich habe wirklich überhaupt keine Schmerzen mehr.»
    «Unsinn. Sie haben mir doch erzählt, dass Sie in der Nacht kein Auge schließen konnten.»
    «Ja, das stimmt – das stimmt wirklich – aber vielleicht ist der Nerv jetzt tatsächlich tot.»
    «Ein Grund mehr, um zum Zahnarzt zu gehen», erklärte Mrs Bolitho energisch. «Wir schieben es alle gern hinaus, aber das ist bloß Feigheit. Besser, man gibt sich einen Ruck und hat es dann hinter sich.»
    Miss Sainsbury Seale setzte zu einer Antwort an. Vielleicht wollte sie rebellisch murmeln: «Ja, aber es ist schließlich nicht Ihr Zahn!» Sie sagte jedoch nur: «Wahrscheinlich haben Sie Recht. Und Mr Morley ist ja auch so vorsichtig und tut einem überhaupt nicht weh.»
     
    Die Sitzung des Verwaltungsrats war vorüber. Alles war glatt gelaufen. Der Geschäftsbericht war glänzend. Kein Misston wäre am Platz gewesen. Und doch hatte Samuel Rotherstein, der eine Art sechsten Sinn für so etwas besaß, Derartiges empfunden: eine winzige Nuance im Auftreten des Präsidenten.
    Einige Male hatte seine Stimme eine Schärfe angenommen, die durch den Verlauf der Sitzung keineswegs gerechtfertigt war.
    Vielleicht irgendein geheimer Kummer? Allerdings war Rotherstein nicht imstande, die Vorstellung eines geheimen Kummers mit Alistair Blunt in Verbindung zu bringen. Dazu war der Mann zu leidenschaftslos. Er war so normal – so vollkommen britisch.
    Natürlich konnte es die Leber sein. Auch Mr Rotherstein hatte von Zeit zu Zeit Leberbeschwerden. Aber Alistair hatte noch niemals über seine Leber geklagt. Seine Gesundheit war ebenso unerschütterlich wie seine Nerven und sein finanzielles Geschick. Und doch – irgendetwas war da: Ein- oder zweimal hatte sich der Präsident mit der Hand ans Gesicht gegriffen. Er hatte im Sitzen das Kinn aufgestützt, eine für ihn ungewöhnliche Haltung. Und ein paarmal hatte er – ja, man musste schon sagen – zerstreut ausgesehen.
    Die Herren verließen das Sitzungszimmer und gingen die Treppe hinunter. Rotherstein sagte: «Ich kann Sie wohl nicht im Wagen mitnehmen?»
    Alistair Blunt schüttelte lächelnd den Kopf. «Ich habe meinen eigenen Wagen unten.» Er schaute auf die Uhr. «Ich fahre nicht in die City zurück.» Nach einer Pause fügte er hinzu: «Ich muss nämlich zum Zahnarzt.»
     
    Hercule Poirot stieg aus seinem Taxi, zahlte und klingelte am Haus Queen Charlotte Street 58.
    Ein Bursche in roter Uniform öffnete die Tür; er hatte Sommersprossen, rote Haare und einen ernsten Gesichtsausdruck.
    Hercule Poirot sagte: «Zu Mr Morley!»
    Tief im Herzen gab er sich der lächerlichen Hoffnung hin, Mr Morley sei vielleicht unpässlich, sei abberufen worden oder könnte heute keine Patienten empfangen… Alles vergebens. Der Boy trat zurück, Hercule Poirot schritt durch den Hauseingang, und die Tür fiel mit der ruhigen Gefühllosigkeit eines unabänderlichen Verhängnisses hinter ihm zu.
    Der Boy fragte: «Ihren Namen, bitte?»
    Poirot nannte seinen Namen; eine Tür auf der rechten Seite der Halle flog auf, und er betrat das Wartezimmer. Der Raum war geschmackvoll möbliert und wirkte
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