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Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Contessa - Historischer Roman
Autoren: Anke Bracht
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In die Küche. Und wenn ich erfahren sollte, dass du es nicht getan hast, dann komme ich persönlich nach Lucca und reiße dir beide Ohren ab. Und nun geh, du Heißsporn!«
    Er versetzte dem verblüfften Jungen einen Stupser und wandte sich an Rocco. Martini sah den verschreckten Bäckersohn freundlich an und sagte ruhig, als spräche er zu einem scheuenden Pferd:
    »Es wird Zeit, dass du dein eigenes Leben führst. Nutze diese Chance, mein Junge, und lass dich nicht erwischen, sonst schlägt dein Vater dich wirklich noch tot. Ich werde ihm sagen, du seist in eine Wildererfalle geraten, mein Diener habe dich gefunden … den Rest von dir … ich hätte dich nur an deinem Wams erkannt … aber dafür habe ich etwas bei dir gut, Rocco. Verstehst du? Irgendwann werde ich kommen und dich um einen Gefallen bitten, und dann musst du mir helfen, so wie ich dir jetzt helfe.«
    Bestürzt sah der Vogt, wie Rocco mehr und mehr in sich zusammenfiel. Er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Und nun begann der Junge vor ihm auch noch zu weinen. Er versuchte, sich die Tränen aus dem Gesicht zu reiben, und verteilte damit das Blut, das aus seiner Nase sickerte, über beide Wangen. Ein schrecklicher Anblick. Dann griff er mit einer katzenhaft schnellen Bewegung nach Martinis Hand und fiel vor dem stattlichen Mann auf die Knie. Er presste die Lippen fest auf den haarigen Handrücken, ließ dann ab und schluchzte mit tränenerstickter Stimme:
    »Danke, Herr. Ich werde niemals vergessen, was Ihr für mich getan habt. Das schwöre ich bei Gott.«
    Mit einer geschickten Drehung sprang er auf die Beine und schien auf einmal seine Umgebung wieder wahrzunehmen. Ob jemand die Szene beobachtet hatte? Rocco blickte sich scheu um und sah in Benedettos Richtung. Der seufzte tief, ging auf seinen früheren Gegner zu und klopfte ihm nunmehr kameradschaftlich auf die Schulter.
    »Lass uns den Stand aufbauen, bevor dein Vater kommt. Und dann suchen wir mein Mädchen, ja?«
    Rocco nickte und machte sich an die Arbeit. Auch Benedetto ging wieder zum Tagewerk über, und der Vogt war zufrieden. Der Junge hatte ihm schon lange leidgetan, nicht dass er sich irgendetwas aus der Brut anderer Menschen machte, aber dieses Leid musste ein Ende haben. Und – konnte es schaden, zwei Ohren und zwei Augen am Hof von Lucca zu haben, womöglich viele Jahre lang? Beseelt von seiner guten Tat drehte sich Martini schwungvoll auf den Schuhspitzen um die eigene Achse und schnalzte zufrieden mit der Zunge. Ein guter Tag, ein herrlicher Tag. Dann verließ er den Markt und machte sich auf den Heimweg. Er freute sich auf sein Haus, wo Francesca, seine Schwester, bereits mit dampfender Hirsegrütze auf ihn wartete.

4. KAPITEL
    D er Conte lehnte am Fenster seines Gemachs, von wo aus er den Blick über das weitläufige Anwesen mit den angrenzenden Feldern hinweg bis zum Horizont schweifen lassen konnte. Die Sonne stand schon tief; es war ein heißer Tag gewesen. Doch jetzt, wo die eben noch weiße Scheibe schnell zu einem glutroten Ball schmolz, war die Kühle des nahenden Herbstes zu ahnen. Es lag etwas Bedrückendes in der Luft. Manchmal fragte er sich, ob nur er die Traurigkeit spürte, die von der Natur da draußen ausging, oder ob ihn dieses Gefühl einfach nur mehr berührte als die anderen Menschen um ihn herum.
    Er war auf der Jagd gewesen, den ganzen Tag lang. Sein Ältester, Paolo, hatte ihn begleitet. Obgleich noch ein Knabe, verstand er sich gut auf das Reiten und Jagen. Er war furchtlos und flink, und wenn er lachte, konnte sich nicht einmal er, Ascanio, dieser Fröhlichkeit entziehen. Er war gern mit Paolo zusammen. Das Kind erinnerte ihn an Vivica, seine erste Frau. Wenn er in die Augen seines Sohnes blickte, fand er sie darin. Er zog auf dieselbe Art die Mundwinkel nach unten, wenn er etwas bei Tisch nicht essen wollte, und er hatte wie Vivica die Angewohnheit zu singen, wenn ihm etwas besonders gefiel. Er war ernsthaft und wissbegierig, und jeder zweite an seinen Vater gerichtete Satz begann mit dem Wort »warum«.
    Ascanio gab sich alle Mühe, dieses Warum zu beantworten; er wollte es nicht allein den Lehrern bei Hofe überlassen. Hinter jeder Antwort verbirgt sich eine Absicht, hatte sein eigener Vater ihn einst gelehrt, und er hatte sich vorgenommen, seine Söhne so zu erziehen, dass sie auf jede Frage nur eine gültige Antwort kannten. Irgendwann würde Paolo ihm nachfolgen, und dann durfte er nicht zaudern, abschätzen, sich
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