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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin
Autoren: Julie Klassen
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Kanalboot, das von den schräg stehenden Sonnenstrahlen in warme Goldtöne getaucht wurde. Auf dem Vorderdeck standen zwei Personen. Eine von ihnen hob grüßend die Hand.
    Sie spürte den Hauch eines Wiedererkennens und beugte sich vor, um im schwindenden Sonnenlicht besser sehen zu können.
    Es kann nicht sein …
    Aber es stimmte.
    Endlich, endlich, sah Lilly das geliebte Gesicht, den Menschen, den sie über alles liebte und so sehr vermisst hatte.
    Die Hand winkte. Die wohlbekannte Stimme rief: »Lilly!«
    Ihr Herz machte einen Satz.
    Es war Francis, der nach Bedsley Priors zurückkehrte.
    Noch bevor das Boot richtig angelegt hatte, sprang Francis von Deck und rannte ohne Rücksicht auf seinen guten Anzug das Ufer hinauf. Am Ende der Brücke blieb er stehen und schaute sie an. Sein ernstes Gesicht spiegelte die Sehnsucht, die sie selbst empfand.
    Lilly stand da, fassungslos, wie festgewachsen, vielleicht fünf Meter von ihm entfernt.
    »Du weißt nicht, wie sehr ich dich vermisst habe«, sagte er. Die Konturen seines Gesichts waren schärfer als je zuvor, seine braunen Augen groß und intensiv.
    Lilly schluckte. »Hast du das wirklich?«
    »Ich habe jeden Tag an dich gedacht. Was glaubst du, warum ich so unbedingt Erfolg haben wollte?«
    Atemlos konnte sie ihn nur anschauen.
    »Ich habe die Prüfungen bestanden, Lilly«, sagte er. »Ich bin jetzt als Apotheker zugelassen.«
    Ihre Kehle war plötzlich eng. »Ich gratuliere«, sagte sie.
    »Ich werde das Geschäft von Shuttleworth übernehmen. Hat er es dir gesagt? Er überlässt es mir zu extrem großzügigen Bedingungen.«
    »Shuttleworth?«, fragte Lilly begriffsstutzig. »Du bist also der neue Apotheker?«
    Francis nickte. »Aber sie wird nicht mehr Shuttleworth heißen. Ich dachte an …« Er trat einen Schritt vorwärts. »Das heißt … wie klingt Baylor und Haswell ?«
    Lillys Herz, das schon jetzt wie rasend schlug, fühlte sich an, als hätte es einen elektrischen Schlag bekommen. Heftig atmend gelang ihr ein scheinbar gleichgültiges Achselzucken. »Oder Haswell und Baylor .«
    Er grinste und breitete die Arme aus.
    Lilly lief los.
    Francis fing sie in der Luft auf und drückte sie fest an seine Brust. Dann stellte er sie vorsichtig auf die Füße und ließ sie nur los, um ihr Gesicht in beide Hände zu nehmen. Lilly sah mit der ganzen Liebe, die sie für ihn empfand, zu ihm auf, und seine warmen, tiefbraunen Augen schienen mit den ihren zu verschmelzen. Er beugte sich hinunter, sie reckte sich nach oben und ihre Lippen berührten sich. Selig ließ sie sich in seine Arme sinken und so standen sie zusammen, ohne an die Vorübergehenden oder den Kanal oder auch nur ein einziges Boot darauf zu denken.

Epilog

    Ich ging auf den Friedhof, wie so oft. Mein Bruder Charlie war diesmal nicht da. Wahrscheinlich arbeitete er in den Gärten von Marlow House und zählte die Unkräuter, die er ausriss, oder Marienkäfer oder Ameisen. Ich wusste, dass er auf seine Art zufrieden war.
    Vor einem Grabstein blieb ich stehen. Er war noch neu, noch nicht zerfressen von Zeit und Wind und Flechten. Doch vor meinem geistigen Auge stand ich an einem anderen Grab. Ihrem Grab.
    Onkel Elliott hatte mir endlich den Brief geschrieben, nach dem ich mich so lange gesehnt hatte: Wir haben deine Mutter gefunden. Ich weiß noch, wie ich, als ich die Worte las, dachte, dass wir schnell zu ihr gehen sollten, bevor sie wieder umzog – bevor sie sich uns erneut entzog.
    Doch Rosamond Haswell ging nirgendwo mehr hin. Niemals mehr.
    Das »zu ihr« stellte sich als ein Londoner Friedhof heraus, als eine Grabstelle, auf der ein schlichtes Holzkreuz mit dem Namen R. H. Wells stand.
    Ihre und meine Suche waren beendet.
    Sie war in einem Hospital an Schwindsucht gestorben und ihre Geheimnisse mit ihr. Unter ihren Sachen hatte man einen Fetzen Papier mit dem Namen Jonathan Elliott und seiner Adresse gefunden und das Hospital hatte ihm eine Nachricht geschickt – zweifellos in der Hoffnung, dass er die angefallenen Kosten übernehmen würde. Onkel Elliott war auf Reisen gewesen, doch nach seiner Rückkehr hatte er bezahlt, was nötig war, und das Grab aufgesucht. Das schlichte Holzkreuz hatte er stehen gelassen, weil er sich zunächst mit mir beraten wollte.
    Ich musste es dabei belassen, dass sie nicht auf dem Friedhof von Bedsley Priors begraben wurde, hatte sie doch fast ihr ganzes Leben versucht, unserem Dorf zu entkommen. Doch der Plan der Elliotts, einen Grabstein zu kaufen und ihren
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