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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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auf dem Weg hierher, um etwas von Euch einzufordern.«
    Ihr Magen schrumpfte zu einem harten Klumpen und zerquetschte die flatternden Vögelchen wie ein Pferdehuf eine überreife Frucht. »Gott steh mir bei!«
    »Wo seid Ihr da wieder hineingeraten?«, fragte er vorwurfsvoll.
    »Es ist noch immer dieselbe Geschichte, sie klebt an mir wie heißes Pech.« Sie seufzte. »Komm herein, Guntram wird sich des Maultiers annehmen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist besser, wenn uns niemand zusammen sieht. Ich werde mein Nachtlager unter freiem Himmel aufschlagen. An der Wegkreuzung drüben sah ich einen kleinen Obsthain, der bietet Schutz und liefert Holz für ein Feuer. Solltet Ihr Hilfe benötigen, kommt nach Einbruch der Dunkelheit. Der Feuerschein wird Euch den Weg weisen.«
    Sie nickte. »Du hast recht. Wie viel Zeit habe ich, bis der König da sein wird?«
    »Zuletzt hielt er in Nürnberg Hof. Ich bin vor einer Woche von dort aufgebrochen, doch er hat schnelle Pferde, ich nur dieses alte Maultier. Er kann jeden Tag hier sein.«
    »Vielleicht morgen schon!« Hinter ihr auf dem Klosterhof fiel eine Tür laut krachend ins Schloss. Sie zuckte zusammen und fasste nach seiner Hand. Eilige Schritte schlurften über das Pflaster. »Ich muss zurück! Warte auf mich am Feuer!« Widerstrebend ließ sie seine Finger aus den ihren gleiten und schloss das Tor von innen.
    »Wer war das?«, fragte Mutter Augusta, die keuchend heraneilte.
    »Ein Gewürzhändler!«
    »Im März schon? Habt Ihr Safran bestellt, Mutter Oberin? Es ist nur noch eine Prise da.« Geschäftig wuselte die Priorin an ihr vorbei, reckte sich auf die Zehenspitzen und spähte durch das kleine Guckfenster, das noch immer quietschend im Wind schaukelte. »Bereits weg, der Mann. Wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Ja, Safran und Galgant. Einen Sack voll«, murmelte Judith, und ihr Blick suchte den Stand der Sonne. Noch so viel zu erledigen …
    »Einen ganzen Sack? Seid Ihr närrisch? Wer soll das denn bezahlen?«, jammerte Mutter Augusta und schnappte nach Luft. Sie versuchte zu Judith aufzuschließen, doch die eilte mit großen Schritten zur Kirche und achtete nicht auf das Geschrei der Priorin.
    Am Altar füllte eine Novizin eine tönerne Vase mit Schneeglöckchen. Judith kniete nieder, schloss die Augen und faltete die Hände. Zu einem Gebet war sie nicht fähig, ihre Gedanken kreisten wie Krähen über einem Kadaver. Als die junge Nonne gegangen war, sprang sie auf und lief hinüber zur Säule. Die Fugen zwischen den Steinen waren ein wenig heller als sonst, doch einen Unbeteiligten wies nichts darauf hin, dass hier kürzlich gegraben worden war. Guntram würde nicht unnütz den Mund aufmachen, es sei denn, sie würden ihn …
    Sie erschrak. Wie weit Heinrich wohl ging auf der Suche nach dem Herzsarg? Sie durfte sich nichts vormachen, für ihn hing alles davon ab, dass niemand die Wahrheit erfuhr. Sie musste Guntram wegschicken. Ein harmloser Auftrag, der ihn einige Tage vom Kloster fernhielt, würde genügen. Mussten nicht die Brennholzvorräte aufgefrischt werden? Sollte der Knecht ihn begleiten, der auch beim Graben geholfen hatte. Sie eilte hinaus, um den Alten zu suchen.
    Nach der Vesper ließ Judith in der Küche einen Korb mit Brot, Räucherfisch und einem Krug Wein füllen. »Für einen Bettler«, erklärte sie unbestimmt und trug ihn in ihre Zelle. Dann lief sie zum Stundengebet in die Kirche. Erneut blieb ihr Blick am Fuß der Säule hängen. Sie würden den Sarg finden, so viel stand fest, aber nicht morgen und nicht nächste Woche. Gott allein entschied, wann. Sie atmete tief durch und der harte Klumpen in ihrem Magen löste sich ein wenig. Sie musste dem Herrn vertrauen. Schließlich hatte er ihr den Herzsarg gesandt.
    Zurück in ihrer Zelle, erfasste sie erneut Panik, und sie blickte gehetzt von ihrem frisch gescheuerten Schreibpult zum Schlaflager. Gütiger Jesus, was soll ich nur tun? Sie atmete den Duft nach Seife und feuchtem Holz, fasste nach dem silbernen Kreuz an ihrem Hals, und plötzlich durchströmten sie Klarheit und Ruhe.
    Als der erste Stern durch das dunkle Fenstergeviert blinkte, streute sie Sand über die lückenlose Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben bis zum heutigen Tag. Sorgfältig faltete sie ihren Habit, Kante auf Kante, und packte ihn auf den einzigen Stuhl in der Zelle. Der Schleier breitete sich wie von selbst darüber. Den Schlüssel für die Geldtruhe legte sie neben das Pergament mit den Zahlenreihen. Dann schlüpfte
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