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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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sein.
    »Was ist?«, flüsterte sie.
    »Reiter!«
    Erneut schrie der Eichelhäher. Das Maultier schnaubte unruhig zwischen den Bäumen. Silas drückte seine Lippen an ihr Ohr. »Bleib still liegen. Der Holzstoß bietet Schutz. Ich gehe das Tier beruhigen.«
    Bevor sie protestieren konnte, war er weg. Kalte Luft nahm seinen Platz ein. Sie fröstelte. Jetzt hörte sie es auch – rasch näher kommendes Hufgetrappel. Mit dem anschwellenden Geräusch kroch die Angst unter die Decke und raubte ihr fast die Besinnung. Nur mit Mühe beherrschte sie sich, um nicht aufzuspringen und hinter Silas herzurennen. Ob sie schon nach ihr suchten? Doch wenn sie nicht zur Laudes erschien, würde sich niemand wundern. Als Äbtissin hatte sie kleine Privilegien, von denen sie öfter Gebrauch gemacht hatte. Und bis zur Prim, dem Gebet zur dritten Stunde des Tages, war noch Zeit. Bis dahin mussten sie weit weg sein. Schwester Uta würde wohl an die Zellentür klopfen, um nach ihr zu sehen. Eine schöne Aufregung würde das geben, wenn sie das Lager leer fand. Ein stilles Grinsen teilte ihre Lippen, als sie sich Mutter Augusta vorstellte, wie sie mit den kurzen Armen wedelnd über den Hof trippelte.
    Der Schlüssel!, durchfuhr sie ein neuer Gedanke voller Panik. Was, wenn Guntram ihn bereits mit dem ersten Hahnenschrei auf dem Pflaster gefunden hatte? Doch nein, sie hatte den Alten ja fortgeschickt.
    Ein Pferd wieherte durchdringend. Witterte es das Maultier? Die Hufschläge kamen aus der klosterabgewandten Richtung. Vorsichtig hob sie den Kopf. Zwischen den Holzstücken des Stapels waren genug Lücken, um zum Weg hinüberspähen zu können. Allerdings zog sich der Hohlweg tief an der Obstwiese vorbei. Plötzlich sah sie eine Bewegung im Augenwinkel und duckte sich. Mehrere Pferde donnerten im scharfen Galopp heran. Sie glaubte einen federgeschmückten Helm über der Graskante zu sehen.
    »Haltet an!«, rief eine Männerstimme, woraufhin das Schlagen der Hufe vom unwilligen Schnauben und Wiehern der abrupt gebremsten Pferde abgelöst wurde.
    »Was ist?« Eine andere Stimme. Sie klang gereizt, das war trotz der Dämpfung durch das Visier deutlich zu hören.
    »Nur einen Moment!« Über dem Wiesenrand tauchte ein Reiter in leichter Rüstung auf und strebte dem ersten Apfelbaum zu. Ungeschickt warf er mit einer Hand seinen pelzverbrämten Umhang über die Schulter. Sein linker Arm hing in einer Schlinge. Dicht auf den Fersen folgte ihm ein Knappe, der sich ohne langes Zögern am Hosenlatz seines Herrn zu schaffen machte.
    »Müsst Ihr schon wieder brunzen?«, tönte es aus dem Hohlweg. Der unsichtbare Ritter hatte jetzt offenbar sein Visier hochgeklappt. Judith erkannte mit Entsetzen die Stimme des Königs.
    Der andere Ritter, bei dem es sich zweifellos um Markward von Annweiler handelte, leerte inzwischen tatsächlich mit einem erleichterten Seufzer seine Blase. Er stand mit dem Rücken zu ihr nur einen Steinwurf vom Holzstapel entfernt. Sie glaubte den dampfenden Urin zu riechen. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie fürchtete, Markward könne es hören. Sie hielt den Atem an, in der unsinnigen Hoffnung, es würde dann leiser schlagen. Während der Knappe mit fliegenden Fingern den Latz wieder verschnürte, blickte der Ritter sich misstrauisch um. Er hob die Nase und schnupperte. Er roch das Feuer! Sie fing an zu zittern. Nur zwei Schritte, und er würde die kalte Asche erblicken.
    »Annweiler, wenn Ihr weiter mit dieser Ferkelblase reitet, werden wir in einem Jahr noch nicht auf Sizilien sein!«, hörte sie den König brüllen. Vielstimmiges Gelächter tönte aus dem Hohlweg. Markward zuckte mit den Schultern und verschwand mit dem Knappen hinter der Böschung. Rauhe Stimmen trieben die Pferde an. Judith ließ den Kopf auf die Arme sinken und begann wieder zu atmen.
    Mit einem Ruck zog ihr jemand die Decke weg. Sie sprang hoch, fast hätte sie laut aufgeschrien.
    »Wir müssen los«, sagte Silas, während er den Überwurf zu einem Bündel schnürte. Noch immer zitternd stand sie vor der kalten Feuerstelle. Er sah sie fragend an. »Was ist?«
    »Das war Heinrich mit seinen Männern«, sagte sie leise.
    »Ich weiß.« Er zurrte den Lastriemen unter dem Bauch des Maultiers fest und trat dann zu ihr. Zärtlich, aber bestimmt zog er sie in seine Arme. »Hab keine Angst. Sie reiten erst zum Kloster. Ehe sie begreifen, was passiert ist, sind wir längst weg. Und vergiss nicht, sie suchen eine Nonne und kein unbescholtenes Krämerpaar.«
    »Aber
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