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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Schreiben auf ihren Tisch und suchte weiter. Doch es schien das letzte Geheimnis der Truhe gewesen zu sein. Andere Überraschungen konnte sie nicht finden.
    Als der Goldschmied kurze Zeit später klopfte, war der Herzsarg leer.
    »Ihr könnt die Kiste jetzt mitnehmen, wenn Ihr mir versichert, dass niemand sie bei Euch sehen wird.«
    Der Mann nickte. »Mein Vater starb vor einem Jahr, seitdem arbeite ich allein. Einen Gehilfen kann ich mir nicht leisten. Sollte Kundschaft die Werkstatt betreten, werde ich sie sorgfältig verstecken, Ihr habt mein Wort.«
    »Ich vertraue Euch. Ihr solltet jedoch wissen, dass die Geschichte, die Ihr auf diese Kiste schreiben werdet, auch Euer Leben gefährden kann. Daher muss ich Euch vorher fragen, ob Ihr immer noch bereit seid, diesen Auftrag für mich auszuführen.«
    Sie sah an seinen Augen, dass er ihr nicht glaubte. »Natürlich werde ich diese Arbeit annehmen. Ich freue mich darauf.«
    Sie seufzte und beruhigte ihr Gewissen mit dem Gedanken, dass er sich von dem fürstlichen Lohn jederzeit in einer fremden Stadt eine neue Existenz aufbauen konnte. Sie nahm ein Schreiben von ihrem Tisch, das sie schon gleich nach Heinrichs Abreise verfasst hatte.
    »Gut. Den Anfang der Geschichte findet Ihr hier auf diesem Pergament. Graviert ihn auf den Deckel. Wenn Ihr fertig seid, kommt ein weiteres Schriftstück holen. Den zweiten Teil müsst Ihr auf den Seitenwänden unterbringen. Arbeitet Tag und Nacht, gönnt Euch keine Pause. Alles muss innerhalb weniger Tage erledigt sein.«
    Er verstaute ihr Schreiben in seiner Tasche und räumte das Werkzeug zusammen. Mit Hilfe eines Knechtes trug er den Herzsarg, der mit einem Tuch verhangen war, zu seinem Esel.
    Judith stand am Tor und sah ihm nach, schwankend zwischen der Gewissheit, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, und dem Zweifel, dass alles eine aberwitzige Idee gewesen war.
    Nach der Vesper zog sie sich wieder in ihre Zelle zurück und entzündete zwei Öllampen. Dann legte sie das Pergament aus der Kiste vor sich auf den Tisch und strich es glatt. Es trug weder Namenszug noch Siegel und war offensichtlich nur ein Teil eines längeren Berichts, vielleicht sogar eines Tagebuchs. Die Tinte am oberen Rand verschwand unter dunklen Flecken, der lesbare Text begann mitten im Satz. Die sehr kleine Schrift war schwer zu entziffern. Entweder stammte sie von einem ungeübten Schreiber, oder sie war von jemandem geschrieben worden, der kaum noch die Feder halten konnte. Mühsam musste sie Wort für Wort buchstabieren.
    »… lagerten wir an der Steinbrücke über den Saleph. Einheimische warnten uns vor der schwierigen und gefährlichen Wegstrecke über das Gebirge, das vor uns lag. Mein Vater ließ diese Auskunft verschweigen, damit das geschwächte Heer nicht entmutigt würde. Seit Tagen ernährten wir uns nur noch vom Fleisch der sterbenden Pferde. Zwar versprach man uns Versorgung und einen guten Markt, doch verkehrte sich all dies ins Gegenteil. Die Hitze und der Hunger, Wege, die selbst den Bergziegen kaum zugänglich waren, kosteten uns jeden Tag Dutzende von tapferen Rittern. Ich beschwor den Kaiser, umzukehren, doch er war wie immer stur und unbelehrbar. Mich dauerten all die ausgezehrten und halbtoten Männer, die nur aus wahnsinniger Hingabe zu ihm diese Strapazen auf sich nahmen. Ich flehte ihn an, schließlich drohte ich ihm mit Entmachtung und dass ich das Heer allein zurückführen würde in die Heimat. Unbeeindruckt lachte er sein überhebliches Lachen, das alle erstarren und verstummen lässt. Dann wurde er wütend und schrie, seit wann ein Bastard die Macht übernehmen könne. Ich war sprachlos, eine solche Beleidigung hatte ich von ihm noch nie gehört. Der Bischof von Würzburg, der an seiner Seite stand, senkte den Kopf und verließ eilig das Zelt. Dann sagte der Kaiser mir die Wahrheit über mich und meinen wirklichen Vater. Selbst heute, im Angesicht des Todes, schaudert es mich bei der Erinnerung an diesen schmachvollen Abend in diesem jämmerlichen Land. Ich erfuhr, dass ein Bischof mich gezeugt hatte, mit dem ausdrücklichen Wohlwollen und auf Befehl des Kaisers! Wie froh bin ich, dass meine selige Mutter bereits tot ist und ich ihr nie wieder in die Augen blicken muss, es sei denn am Jüngsten Tag. In jener Nacht wuchs in mir ein Ungeheuer heran, das ich nicht mehr bändigen konnte. Was hatte ich auch zu verlieren? Schon am nächsten Tag schenkte mir das Schicksal eine Gelegenheit, dem Unglück ein Ende zu
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