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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin
Autoren: Johanna Marie Jakob
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bereiten. Stur und taub für alle Ratschläge seiner ehrenhaften Begleiter musste der Mann, den ich bis dahin Vater genannt hatte, wieder einmal seine Kraft und Jugendhaftigkeit beweisen. Er legte seine Rüstung ab und stieg in den reißenden Saleph, um ihn vor aller Augen zu durchschwimmen. Händeringend sahen der Bischof und die anderen Edlen zu. Schließlich blieb ihr ruheloser Blick an mir hängen. Ich schwamm ihm nach, wohl wissend, dass ein gutes Messer in meinem Gürtel steckte. Er kam beinahe bis zur Mitte des Flusses, dann holte ich ihn ein. Es war nicht einfach, seinen schlaffen Körper in den tosenden Fluten zu halten. Ich brauchte viel Zeit und Kraft beim Zurückschwimmen. Als ich ihn endlich unter dem lauten Geschrei der Zurückgebliebenen ans Ufer zerrte, war alles Blut vom Wasser ausgewaschen und die Wunde unter seinem Wams versteckt. Da ich mich selbst um ihn kümmerte, konnte niemand seinen Leichnam untersuchen. Trauer und Verzweiflung unter den Kreuzfahrern waren groß. Und doch erkannte ich Anzeichen von Erleichterung, als ich ihnen sagte, ich würde sie nach Hause führen. Kein Einziger erhob Einspruch.
    Zehn Tage später kamen wir nach Antiochia, wo wir die leiblichen Überreste des Kaisers beisetzten. Dann fiel der schwarze Tod über den geschwächten Rest unseres Heeres her. Der Bischof von Würzburg bat mich auf seinem Sterbelager, Friedrichs Herz mit nach Hause zu nehmen, damit es in Speyer neben dem Leib meiner Mutter ruhe. Ich kann mich seinem letzten Wunsch schlecht verschließen, obwohl sich alles in mir dagegen sträubt. Und nun muss ich den Sarg seinem Schicksal überlassen. Ich weiß nicht, ob er jemals seinen Bestimmungsort erreichen wird.
    Ich bereue nicht, dass ich dem Wahnsinn Einhalt geboten habe. Und doch straft Gott uns schwer. Ein Teil von uns hat es bis vor Akkon geschafft, doch werden wir die Heimat nie wiedersehen. Nicht der heldenhafte Tod mit erhobenem Schwert zu Ehren unseres Herrn ist uns bestimmt. Nein, jämmerlich gehen wir zugrunde in diesem fremden Land, das uns ausspeit wie einen giftigen Pilz. Wir sterben in unserem eigenen Dreck, elend und siech auf stinkenden Lumpen. Wir sterben an unserem Hochmut, der uns nicht aufhören ließ, als es genug war. Die irdische Welt ist an ihrem Ende angelangt, wie der Prophet sagt: ›Draußen wütete das Schwert gleich dem Tode drinnen.‹«
    Judith ließ das Pergament sinken. Ihre Hand zitterte, aber nicht vor Kälte. Sie stand auf und sah nach dem Feuer. Es war heruntergebrannt, doch die Glut leuchtete noch in warmem Rot. Mechanisch schürte sie und legte Reisig nach. Als kleine Flammen züngelten und nach dem trockenen Holz griffen, packte sie vorsichtig dünne Scheite darauf. Erst als ein deutliches Prasseln zu hören war und helle Flammen ihr Gesicht beleuchteten, klarten sich ihre Gedanken auf. Es gab keinen Zweifel, wer der Verfasser dieses Schreibens war – Heinrichs Bruder Friedrich, der vor wenigen Wochen in Akkon gestorben war. Irgendjemand, vielleicht sogar er selbst, hatte diesen entscheidenden Teil seines Berichts im Herzsarg versteckt.
    Hatte Heinrich ihn gefunden? Der Text stempelte zwar Friedrich zum Bastard, sagte aber nichts darüber aus, wer Heinrichs Vater gewesen war. Es würde erklären, warum der König jetzt Nachforschungen anstellte. Und da sie eine der wenigen war, die Beatrix näher gekannt hatte, hatte von Annweiler sie diesem seltsamen Verhör unterzogen.
    Sollte sie ihre Brüder warnen? Sie schüttelte den Kopf. Darauf, dass Ludwig und Beringar von der Geschichte wussten, würde Markward bestimmt nicht kommen. Eher würde sie schlafende Hunde wecken.
    So heiß wie die Glut im Kamin durchfuhr sie die Erkenntnis, dass Markward von Annweiler wahrscheinlich schon alles gewusst hatte, bevor der junge König das Pergament gefunden hatte. Schließlich hatte er sie damals in Mainz bereits auf die Probe stellen sollen. Hatte er Heinrich aufgeklärt, oder spielte er ein doppeltes Spiel? Die Fragen jagten durch ihren Kopf. Am liebsten hätte sie das Pergament ins Feuer geworfen. Doch die Wahrheit ließ sich nicht verbrennen.
    Zwei Tage später trabte der Goldschmied auf seinem Esel über den Hof. Es war ein sonniger, aber kalter Tag. Er rieb sich die Hände, als sie ihn begrüßte. »Kommt mit an den Kamin, dort könnt Ihr Euch wärmen.«
    Er nickte dankbar.
    »Seid Ihr fertig mit der Gravur des Deckels?«
    »Ja, ehrwürdige Mutter.« Er druckste.
    »Was ist? Gab es Probleme?«
    »Nein. Es ist nur – habt
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