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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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Büro abzuarbeiten. Jónas hatte zum Glück von einer Klage gegen die Geschwister abgesehen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Bertha der angebliche Geist war. »Du weißt doch bestimmt, dass Kristín gefunden wurde.«
    »Ja, deshalb rufe ich dich an«, sagte Lára. »Es geht um zwei Dinge. Ich kümmere mich gerade darum, dass sie neben ihrer Mutter beerdigt wird, und ich hatte gehofft, du würdest zur Beisetzung kommen. Von ihren Verwandten sind nicht mehr viele übrig, und es ist mir wichtig, nicht mit dem Pastor allein dazustehen.«
    »Das wäre mir eine große Ehre«, sagte Dóra mitfühlend.
    »Gut«, entgegnete Lára. »Ich sage dir Bescheid, sobald der Termin feststeht.« Sie räusperte sich höflich. »Dann wäre da noch die andere Sache. Der Polizist, der die Ermittlungen geleitet hat, war eben bei mir.«
    »þórólfur?«, sagte Dóra erstaunt. »Was wollte er?«
    »Er hat mir einen Brief gebracht, oder besser gesagt, die Kopie eines Briefes«, erklärte Lára. »Ein Brief, der sechzig Jahre lang unterwegs war. Er ist von Guðný.«
    »Wo hat man den denn gefunden?«, fragte Dóra verdutzt. »In der Kohlenkammer?«
    »In Kristíns Jackentasche.« Dóra meinte, Lára schluchzen zu hören, aber als sie weitersprach, klang ihre Stimme gefasst.
    »Als Guðný den Brief schrieb, lag sie im Sterben. Sie wusste, dass es die letzte Möglichkeit war, ihre Geschichte zu erzählen. Zuerst bittet sie mich um Entschuldigung, dass sie mir in ihren früheren Briefen nicht die Wahrheit gesagt hat, sie hat sich nicht getraut, aus Angst, ich würde nach Snæfellsnes kommen und mich bei ihr oder ihrem Vater anstecken. Ich hätte schließlich ein neues Leben in Reykjavík begonnen, das sie nicht zerstören wollte.« Lára zögerte, und Dóra hatte den Eindruck, sie würde den Brief auf der Suche nach einer bestimmten Stelle überfliegen. »Guðný schreibt hier, dass Magnús Baldvinsson Kristíns Vater ist«, erzählte Lára. »Sie sind sich einmal sehr nahegekommen, als er zu einem Treffen ihres Vaters im Zusammenhang mit der nationalistischen Gruppierung kam; da ist sie schwach geworden. Sie schreibt, sie habe mit keinem anderen Mann geschlafen, weder vorher noch nachher, und sie scherzt, es würden wohl auch kaum mehr werden.«
    »Geht aus dem Brief hervor, ob er von dem Kind wusste?«, fragte Dóra. Wenn dem so war, hatte er unmöglich ein Anrecht auf das Erbe.
    »Sie schreibt, er sei zum Studium nach Reykjavík gezogen, bevor sie sich über ihren Zustand bewusst war, aber sie hat ihm nach Kristíns Geburt einen Brief geschrieben. Er hat ihr aber nie darauf geantwortet.« Lára seufzte. »Beim Lesen merkt man, dass sie das sehr verletzt hat, vor allem wegen ihrer Tochter. Falls sie ihn irgendwann einmal geliebt hat, dann war das verständlicherweise vorbei.«
    »Tja, manches kann man nicht wiedergutmachen«, seufzte Dóra, »selbst weniger tragische Dinge, als sein eigenes Kind nicht anzuerkennen.«
    »Guðnýs Anliegen war es, mir ihre Tochter anzuvertrauen«, erklärte Lára. »Als sie den Brief schrieb, war ihr Vater schon tot, und sie wohnte mit ihrer Tochter bei ihrem Onkel Grímur. Guðný wollte Kristín auf keinen Fall in seiner Obhut lassen.«
    »Hm, ob Grímur wusste, dass Guðný versucht hat, Kristín in deine Obhut zu bringen?«, fragte Dóra. »Mit Kristín wäre natürlich auch sein gesamter Besitz gegangen.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lára. »Da steht nur, sie sei sich nicht sicher, wann ich den Brief bekommen würde. Sie wollte ihn Grímur nicht für die Post anvertrauen. Sie schreibt, sie würde ihn Kristín mitgeben und hoffen, dass sie ihn jemandem überbringen kann. Sie habe mit Kristín gesprochen und ihr von mir erzählt, wie nett ich sei und dass sie mich vielleicht bald treffen würde. Sie fügt noch hinzu, man könne Kristín den Brief trotz ihres jungen Alters ruhig anvertrauen. Sie sei außergewöhnlich zuverlässig und tüchtig.«
    »Zumindest hat sie es geschafft, den Brief zu verstecken.«
    »Ja«, klang es vom anderen Ende der Leitung, und nun ließ es sich nicht mehr verhehlen, dass die alte Frau weinte. »Lass uns bei der Beerdigung weiter darüber reden«, sagte Lára mit brüchiger Stimme.
    »Natürlich«, sagte Dóra. »Ich komme. Du kannst dich auf mich verlassen.« Sie grüßte die alte Frau und legte auf.
    Dóra war während des Gesprächs in dem kurzen Flur auf und ab gegangen, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Erst jetzt wurde ihr klar, dass hinter den meisten Türen
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