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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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des Geldes getan hatte. Bevor er sich das Leben nahm, hat er mir alles erzählt. Ich glaube, er wollte seinen Seelenfrieden, aber den konnte ich ihm nicht geben.« Málfríður starrte wieder an die Decke. »Ich habe seine Grabinschrift in Übereinstimmung mit seiner Lebensweise gewählt. Das Herz blutet.« Sie verstummte und hustete schwach.
    »Ich werde Kristín ausgraben lassen«, sagte Lára, die das Gespräch beenden wollte. Sie hatte genug. »Und neben ihrer Mutter beerdigen lassen. Ich kann nicht darüber schweigen.«
    Málfríður richtete sich zum ersten Mal, seit Lára gekommen war, ein wenig auf. »Das brauchst du nicht. Ich habe schon dafür gesorgt, dass es getan wird«, sagte die Alte. »Ich habe meiner Enkelin, Elíns kleiner Bertha, davon erzählt, und sie hat gesagt, es würde alles gut werden. Sie hat versprochen, sich darum zu kümmern.« Málfríður lächelte Lára geschwächt an. »Merkwürdig, dass ich meinen eigenen Kindern nicht davon erzählen konnte, aber dann kam Bertha zu mir, und etwas an dem Mädchen erinnert mich so sehr an Guðný und Kristín. Bertha ist ein guter Mensch. Sie wird das Richtige tun.«
    Lára schaute Málfríður an und stand auf. Plötzlich packte sie die Wut. »Es würde mich nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass sie deinem Vater ähnlicher ist als Guðný und Kristín.«
     
    »Man kann nur hoffen, dass Málfríður sich auch noch an die Wahrheit hält, wenn sie mit dem konfrontiert wird, was ihrer Enkelin bevorsteht«, sagte Dóra und legte auf. Sie brauchte keine weiteren Zeugen; das Telefonat mit Lára räumte sämtliche Zweifel an Berthas Schuld aus. Dóra hatte am Straßenrand angehalten, als die Frau anrief. Nun fuhr sie ganz langsam durch den dichten Nebel weiter nach Tunga. Streckenweise schien sich der Nebel zu lichten, und alle möglichen Phantasiegestalten erschienen in der moosbewachsenen Lava auf beiden Seiten der Straße. Als der Nebel wieder dichter wurde und die wundersamen Erscheinungen verschluckte, lief Dóra unvermutet ein Schauer über den Rücken. Sie hoffte, nicht vom richtigen Weg abgekommen zu sein. Die Strecke war nicht lang, aber wegen der schlechten Sicht fuhr sie langsam und hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Plötzlich meinte sie, einen Mann mit ausgestrecktem Arm am Straßenrand stehen zu sehen, aber es war nur das Schild zum Hof Tunga. Sie bog in den Zufahrtsweg und beschleunigte ein wenig. Kurz darauf sah sie die Umrisse des Gehöfts. Auf dem Vorplatz stand þórólfurs Wagen; Dóra hielt neben ihm an. Der Wagen war leer. Sie stieg aus und ging zur Haustür, aber nach wenigen Schritten erstarrte sie. Durch den Nebel klang leises Kinderweinen. Dóra drehte sich um und versuchte, auszumachen, woher das Geräusch kam, aber es war zwecklos. Das Weinen hörte genauso plötzlich auf, wie es gekommen war. Dóra massierte ihren Arm, um die Gänsehaut zu vertreiben. Was zum Teufel war das? Sie kniff die Augen zusammen. Als sie eine Bewegung in der Nähe des Pferdestalls wahrzunehmen glaubte, zuckte sie zurück. Von Neugier getrieben ging sie in Richtung Stall. Sie trat vorsichtig auf, damit ihre Schritte auf dem Kies nicht zu hören waren.
    Als sie beim Pferdestall angekommen war, begann das Weinen von neuem. Dóra drehte sich um, konnte aber nichts sehen. Sie erschrak fast zu Tode, als vor ihr ein lauter Knall ertönte. Die Stalltür war unverschlossen und schlug gegen die Wand. Anscheinend hatte jemand die Tür offen stehen lassen. Als Dóra von drinnen Geräusche hörte, sprang sie schnell zur Seite. Sie drückte sich dicht an die Hauswand und hoffte, im Nebel nicht gesehen zu werden. Aus dem Augenwinkel sah sie die Umrisse eines Menschen in der Türöffnung erscheinen, ihn hinauskommen und die Tür schließen. Dóra war sofort klar, dass das kein gutes Versteck war. »Hallo Bertha«, sagte sie. »Was machst du denn hier?«
    Das junge Mädchen erschrak. Es drehte sich um und starrte Dóra entgeistert an. »Ich? Nichts.«
    »Ich hab dich aus dem Stall kommen sehen«, entgegnete Dóra. »Kennst du die Leute hier auf dem Hof?«
    Das Kinderweinen erklang erneut, und Bertha spähte angestrengt in den Nebel. »Ich hab das Weinen gehört und wollte nachsehen, woher es kommt«, erklärte sie zögernd.
    »Im Pferdestall?«, fragte Dóra. »Das Geräusch kommt doch eindeutig von draußen.« Sie musterte das Mädchen, das begonnen hatte, an seiner Unterlippe zu knabbern. »Weißt du, Bertha, Kristíns sterbliche Überreste wurden
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