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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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Finsternis.
    «Früher wurden die Bergleute mit einem Förderkorb hinuntergelassen», erklärte Justin. «Aber den gibt’s natürlich schon lange nicht mehr. Wir nehmen die Leiter.»
    Er leuchtete zu einer Stelle hinüber, wo ein alter Kran mit schwenkbarem Arm in die Umrandung eingebaut war. Unmittelbar daneben wurden die Aluminiumplatten von einer quadratischen Öffnung unterbrochen, aus der die obersten Sprossen einer Leiter ragten.
    Finn näherte sich der Öffnung und spähte in die Tiefe. «Wie weit geht’s denn da hinunter?»
    «Ungefähr sechzig Meter.»
    «Oh Gott», flüsterte Dana verzagt.
    «Keine Angst!» Justin strich ihr beruhigend über den Rücken. «Alle zehn Meter ist eine weitere Plattform eingebaut. Abstürzen kann man also nicht.»
    Sie überwanden den Abstieg trotz ihres Gepäcks ohne Schwierigkeiten. Wie Justin angekündigt hatte, erreichten sie in regelmäßigen Abständen weitere Plattformen, sodass sie Gelegenheit zum Verschnaufen hatten. Sechs solcher Ebenen passierten sie, bis die Aluminiumsprossen auf nacktem Felsboden endeten. Hier tat sich erneut ein waagerechter Stollen auf, der nach wenigen Metern zu einer Kammer mit mehreren Abzweigungen führte. Justin studierte seinen Lageplan und lotste die Gruppe nach links.
    «Dieser Gang führt zur tiefsten Stelle!», verkündete er und winkte seine Begleiter heran.
    Der Stollen war so eng, dass kaum zwei Menschen nebeneinander gehen konnten, die Decke niedrig, das Gestein grob und uneben. Eine einzige sauber geglättete Fläche zeigte eine handgemeißelte Gravur:
    1882
    DOMINUS CUSTODIAT
    G . Helmschrodt
    «Was bedeutet das?», fragte Finn.
    «Dass der Stollen im Jahr 1882 geschlagen wurde.»
    «Das ist mir auch klar! Ich meinte die Worte.»
    «Keine Ahnung. Irgendwas mit ‹Gott›, glaube ich.»
    «Müssen wir denn da unbedingt rein?», fragte Dana. «Was ist, wenn der Gang noch enger wird?»
    «Wird er nicht», versicherte Justin. «Laut Plan ist an seinem Ende eine Abbaukammer. Die Bergleute müssen damals ja auch durchgekommen sein.»
    Er ging mit erhobener Lampe voran, während die anderen ihm folgten.
    «War bestimmt ganz schön gruselig, hier zu arbeiten», meinte Finn. «Wisst ihr noch, was uns Bockelmann in Geschichte über den Bergbau erzählt hat?»
    «Wann hast du jemals in Geschichte aufgepasst?», spottete Laura.
    «Also,
das
jedenfalls hab ich behalten», beharrte Finn. «Vor 1900 haben sie die Bergleute vierzehn Stunden am Tag schuften lassen und sogar Frauen und Kinder runtergeschickt, weil sie besser durch die engen Felsspalten passten.»
    «Stimmt das?», fragte Dana schaudernd.
    «Aber sicher! Totale Ausbeutung. Die Leute haben sich kaputt gearbeitet und sind mit vierzig gestorben. Sogar Pferde hat man nach unten gebracht, als Zugtiere für die Wagen – die armen Viecher sahen niemals mehr die Sonne.»
    «Aber das ist lange her», fügte Justin hinzu, der den verstörten Blick seiner Freundin bemerkte.
    Der Gang endete abrupt, und sie betraten einen glockenförmigen Hohlraum von der Größe eines Klassenzimmers, dessen hohe Decke sich wie ein gotisches Gewölbe über ihnen spannte.
    «Wir sind da!» Justin trat in die Mitte des Raums und drehte sich auf der Stelle. «Genau der richtige Platz für ein Picknick.»
    «Wohl eher für eine Horde Orks», witzelte Laura und wies auf einen schmalen Durchgang, der sich im hinteren Drittel der Kammer öffnete. «Bestimmt kommen sie gleich aus der Ecke da drüben gekrochen.»
    «Laura!», mahnte Finn. «Mach der armen Dana keine Angst!»
    «Das ist ein toter Gang», stellte Justin fest, den Blick auf seinem Lageplan. «Er endet nach ein paar Metern. Ich würde sagen, wir bleiben hier. Rollt eure Isomatten aus, der Boden ist ziemlich kalt!»
    «Und feucht ist es auch.» Laura musterte skeptisch Boden und Wände in der Nähe des toten Gangs, die glänzten und einen salzigen Geruch verströmten.
    «Salzsole», erklärte Justin. «Daran ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Das Zeug wirkt Wunder bei Erkältungen. Die Luft hier unten muss total gesund sein.»
    Sie machten es sich gemütlich, soweit das in dem kahlen Raum möglich war. Finn und Laura improvisierten ein Mattenlager am Boden, während Justin die Lampe abstellte, seinen Rucksack öffnete und eine Flasche teuren Sekt entkorkte.
    «Na denn – ein Prosit auf das Ende der Lernerei, den erweiterten Realschulabschluss und den Lehrkörper der Friedrich-von-Weizsäcker-Gesamtschule! Mögen wir die verehrten Damen und Herren niemals
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