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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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tun, wenn er geradewegs auf mich zukommt?
    Sie packte die Lampe mit beiden Händen und hielt sie vor sich wie eine Waffe.

••• 05   :   58 ••• BRINGSHAUS •••
    Jörn Bringshaus war weit fort. Sein Geist hatte sich tief ins Innere seines ausgekühlten Körpers zurückgezogen. Es war, als triebe er unter Wasser, seltsam schwerelos, zwar nahe der Oberfläche, doch von der Welt darüber getrennt. Nur gelegentlich durchstieß er eine unsichtbare Membran, als sei sein Gesicht für Sekunden aus dem Wasser aufgetaucht. Dann glaubte er Geräusche zu hören, Schritte, Stimmen in der Dunkelheit. Wenn er wieder abtauchte, zerflossen diese Eindrücke und flochten sich als undeutliche Schemen durch seine Träume.
    Bringshaus hörte die Stimme seines alten Schulfreundes. Er saß wieder mit Böttcher in jener Kneipe zusammen, vor nahezu zehn Jahren, kurz nachdem Karin ihn verlassen hatte. Es ging ihm schlecht – so schlecht wie noch nie. Karin hatte ihre Drohung wahrgemacht, und er war nicht der Mann gewesen, der sich mit gerecktem Kinn in die Tür stellte und den Weg versperrte. Furcht potenzierte seine Trauer, besonders im Zusammenhang mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung über das Sorgerecht. Bringshaus hatte nicht geahnt, wie viel seine Frauüber die krummen Touren wusste, zu denen Böttcher ihn verleitet hatte. Was, wenn sie ihr Wissen offenlegte, um nachzuweisen, dass er kein guter Vater für Justin war? Sein ohnehin wackliges, gerade erst im Aufbau befindliches Geschäft würde zusammenbrechen wie ein Kartenhaus.
    «Ich weiß schon, warum ich nie geheiratet habe», hatte Böttcher gesagt. «Mit Frauen hat man nur Ärger. Du solltest froh sein, dass sie weg ist. Lass uns über etwas anderes reden – zum Beispiel über den Deal mit Wildhauer. Die Sache ist so gut wie perfekt. Spielst du mit?»
    «Ich weiß nicht», sagte Bringshaus und starrte in sein leeres Glas.
    «Komm schon, du wirst das Geld brauchen!», meinte Böttcher bündig. «Was ist, wenn Karin Unterhalt verlangt?»
    «Ihr neuer Lover ist ein erfolgreicher Architekt. Geld dürfte ihr geringstes Problem sein.»
    «Aber du wirst einen Anwalt für die Scheidung brauchen, und Anwälte sind teuer. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.»
    Das stimmte, denn erst vor kurzem hatte sich Böttcher – wie Bringshaus sehr genau wusste – gegen eine Anklage zur Wehr setzen müssen. Letztlich war sie fallen gelassen worden, und zwar auf Initiative desselben Staatssekretärs Wildhauer, der ihm daraufhin ein heikles, aber besonders lukratives Geschäft angeboten hatte. Bringshaus war eingeweiht und gerade damit beschäftigt, sich unter dem Druck der Umstände zum Mitmachen durchzuringen. Eine halbe Million würde er bekommen, das hatte Böttcher ihm versprochen. Wie viel Böttcher für sich kassierte, ahnte Bringshaus nicht, doch es war ihm auch gleichgültig, denn er selbst brauchte nicht mehr zu tun, als einen Schlüssel auszuhändigen und den Mund zu halten.
    Er wusste seit langem, dass Böttchers Spedition, deren LKWs quer durch Europa tourten, neben offiziellen Aufträgenauch illegale Transporte abwickelte. Auftraggeber fanden sich zur Genüge: Meist handelte es sich um Unternehmen, die giftige Abfälle zu beseitigen hatten, aber die Kosten für eine vorschriftsmäßige Entsorgung scheuten. Böttchers Aufgabe bestand darin, den Müll unter falscher Deklaration ins Ausland zu bringen, wobei er einen erheblichen Teil des Risikos trug und entsprechend großzügige Honorare einstrich. Diesmal freilich spielte Böttcher ein doppeltes Spiel, denn er hatte nicht vor, den Wunsch seines Auftraggebers zu erfüllen und die ungewöhnlich heikle Fracht, wie ausgemacht, über die tschechische Grenze zu schaffen. Der Transport, der selbst für seine Tarnungskünste ein erhebliches Risiko bedeutet hätte, würde niemals stattfinden. Stattdessen sollten die siebzig Fässer mit kontaminierter Erde in dem alten Bergwerk verschwinden, zu dem nur Bringshaus Zugang hatte. Dieser brauchte nichts weiter zu tun, als seinem Freund den Schlüssel auszuhändigen, ihm den Eingang zum Müllschacht zu zeigen und den Mund zu halten. Von seiner Beteiligung würde niemand etwas erfahren, das hatte Böttcher ihm versprochen.
    «Okay», sagte Bringshaus schließlich und zwang sich, seinem alten Schulfreund gerade in die Augen zu sehen. «Ich bin dabei.»
    Fünfhunderttausend Euro   … Das Geld würde sämtliche Kredite, die er für die Einrichtung seines Ingenieurbüros aufgenommen
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