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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht
Autoren: Andreas Laudan
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Teil der Sohle über dem Abgrund. Böttcher stieß ein erschrockenes Keuchen aus, schwankte auf der Stelle und ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten.
    Bringshaus handelte instinktiv. Ohne nachzudenken, streckte er den Arm aus, ballte die Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft, die er noch hatte, in die Kniekehle des Mannes. Böttchers Beine knickten ein, und mit einem gellenden Schrei fiel er vornüber und stürzte in die Tiefe. Eine Fontäne aus Schlamm und Wasser spritzte aus der Grube und sprenkelte Bringshaus’ Gesicht.
    So, dachte er befriedigt, während er sich erschöpft zurücksinken ließ. Jetzt kannst du da unten buchstäblich verschimmeln –
alter Freund
.
     
    Die Anstrengung hatte ihn seine letzte Kraft gekostet, und er fühlte, wie sich sein Bewusstsein wieder eintrübte. Dennoch nahm er wahr, wie sich eilige Schritte näherten. Das Licht der Lampe tanzte auf ihn zu, und jemand ließ sich neben ihm auf die Knie nieder.
    «Herr Bringshaus? Geht es Ihnen gut?»
    Er erkannte das Gesicht Danas, der Freundin seines Sohnes. Hinter ihr tauchte Tia Traveen aus dem Schatten.
    «Hilfe!», gellte es aus der Tiefe der Grube. «Holt mich hier raus!»
    Wasser platschte. Offenbar unternahm Böttcher verzweifelte Anstrengungen, seinem Gefängnis zu entkommen.
    Vergiss es!, dachte Bringshaus müde. Man kann nicht herausklettern. Ich habe es stundenlang vergeblich versucht.
    «Lasst mir das Seil runter!», schrie Böttcher.
    «Tut mir leid», sagte Tia, die am Rand der Grube stehen geblieben war, «aber das halte ich für keine gute Idee. Im Übrigen hätten wir beiden Frauen ohnehin nicht die Kraft, Sie herauszuziehen. Sie werden warten müssen, bis die Rettungskräfte hier sind.»
    «Verdammtes Flittchen!», fluchte Böttcher. «Willst du mich hier unten krepieren lassen?»
    «Es kann sich höchstens um eine Viertelstunde handeln», antwortete Tia ruhig. «Herr Bringshaus war viel länger dort unten und hat es auch überlebt. Wenn Sie Glück haben, wird der Pilz allenfalls Ihre Fußknöchel annagen.»
    Böttchers Antwort erschöpfte sich in einem Wutgeheul.
    «Aber Sie könnten die Zeit dazu nutzen, ein Geständnis abzulegen», schlug Tia vor. «Zum Beispiel könnten Sie Dana erklären, warum sie stundenlang zwischen Fässern mit radioaktivem Abfall hocken musste.»
    «Du kannst mich mal!», zischte Böttcher aus der Tiefe.
    Danas Augen weiteten sich entsetzt. «Ist es also wirklich wahr?»
    Bringshaus seufzte. «
Ich
werde gestehen», brachte er schwach hervor. «Ob es Hartmut nun passt oder nicht.»
    Tia trat an seine Seite und ließ sich neben Dana nieder. Ihre Brauen zogen sich zusammen, während ihre blinden Augen forschend über sein Gesicht flackerten. «
Sie?
Was haben Sie damit zu tun?»
    «Eine Menge», sagte Bringshaus. «Ich werde Ihnen alles erklären.»
    Er suchte den Blick Danas, die ihn fassungslos anstarrte. Obwohl sein Körper sich immer noch betäubt anfühlte, spürte er einen schmerzhaften Druck auf der Brust. Er würde Dana eröffnen müssen, dass sie viele Stunden in einem illegalen Giftmülllager verbracht hatte – mit unabsehbaren Folgen für Leib und Leben.
    Bringshaus zögerte, denn er fürchtete die Veränderung, die in Danas Gesicht vor sich gehen würde. Er kannte das Mädchen seit langem, hatte sie stets gemocht und sich Mühe gegeben, ihre Schüchternheit durch einen saloppen, beinahe kameradschaftlichen Umgangston zu zerstreuen. Justin hatte sie oft mit nach Hause gebracht, und einmal hatten sie sogar zu dritt am Frühstückstisch gesessen. Das genaue Gegenteil von Justins Mutter, hatte Bringshaus oft gedacht: scheu, zart, sensibel.
    Mit einiger Mühe brachte er es fertig, den Arm zu heben und Danas Hand zu ergreifen. Sie wehrte sich nicht, obgleich seine Finger schwarz vom Schlamm waren.
    «Armes Mädchen», flüsterte Bringshaus. «Glaub mir: Ich habe das alles nicht gewollt   …»
    Er fühlte, dass ihm die Tränen kamen.

••• 06   :   23 ••• CAROLIN •••
    Carolin Frey war hinter die Absperrung zurückgedrängt worden, die die Feuerwehrleute errichtet hatten. Nur zu gern hätte sie die Gelegenheit für ein Exklusivinterview genutzt, doch man ließ weder sie noch Jürgen Traveen in die Nähe desStolleneingangs. So schoss sie stattdessen ein Foto nach dem anderen, während die Rettungskräfte sich um die Verletzten kümmerten.
    Nach ihrem Notruf war alles sehr schnell gegangen: Kaum zwanzig Minuten später, als eben die Strahlen der aufgehenden
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