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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk
Autoren: Barbara Vine
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Bemerkung und war froh, dass er lediglich mit einer leicht schwermütigen Frage darauf reagiert hatte und nicht mit einem seiner jähen, unkontrollierten Wutanfälle, bei denen er schrie und brüllte und Gegenstände an die Wand warf. Nicht ausgeschlossen, dass Juliet hin und wieder solche lautstarken Ausbrüche hatte erdulden müssen, aber davon erfuhren wir nichts. Sie war unerschütterlich loyal, war ihm treu in Worten und in Taten und sicher auch in Gedanken.
    Als er einmal mit Iris allein war, sprach er über seinen Selbstmordversuch. »Ich weiß, dass viele Leute denken, es wäre mir nicht ernst damit gewesen. Das stimmt nicht. So kann ich nicht weitermachen, habe ich damals gedacht, mit all dem Zeug, das mir im Kopf herumgeht. Da wähle ich doch lieber das Nichts. Ich nehme an, dass alle Selbstmordkandidaten so denken. Das ist der Kern der Sache.«
    Ob er das immer noch so sehe, fragte sie. Es war eine Frage, auf die man nur mit Nein antworten kann, wie wir aus der Lateinstunde wissen, und das war denn auch seine Antwort, aber sie war nicht uneingeschränkt. Er antwortete in dem melancholischen Ton, den wir damals oft von ihm hörten. »Nein, es gibt vieles, wofür ich dankbar sein muss. Außerdem bin ich zum Vogel Strauß geworden, ich stecke den Kopf in den Sand, wenn etwas Unerfreuliches auf mich zukommt. Ich mache das Radio aus und schalte auf einen anderen Fernsehsender. Ich werde nie wieder einen Blick in eine Zeitung tun. Ich schütze mich. Ich habe nicht die geringste Lust zu erfahren, was vor sich geht.«
    Draußen in der Welt, in die Ivor nicht mehr ging, verzichteten die vorgesehenen Anwärter der Labour Party und der Liberaldemokraten auf ihre Kandidatur, um den Weg für den parteilosen Aaron Hunter frei zu machen. In der konservativen Abgeordneten sah wohl zu Recht niemand eine Gefahr für ihn. Bei den Parlamentswahlen von 1997 eroberte Hunter den Wahlkreis Imberwell dank seiner Kampagne gegen Korruption und Schmuddelsex mit einer Mehrheit von über zwanzigtausend Stimmen.
    Schon 1995 hatten Ivor und Juliet das Haus in der Glanvill Street verkauft und waren nach Ramburgh gezogen. Sie hatten zunächst noch überlegt, sich eine Zweitwohnung in London zuzulegen, aber beide hatten im Grunde kein Interesse daran, und so bewohnten sie jetzt ausschließlich das Haus in Ivors früherem Wahlkreis. Im Lauf der Jahre hat Juliet wahre Wunder an den ehedem vernachlässigten Gartenanlagen vollbracht, und jetzt sind diese an zwei Tagen im Mai und Juni für Besucher geöffnet. Louisa und John hatten die Räume nie renovieren, das Mobiliar nie überholen lassen, auch das hat Juliet jetzt besorgt und dabei natürliche Begabung und viel Geschmack bewiesen. Von den Porträts der Ahnen mit längst vergessenen Namen sind viele verschwunden, an ihrer Stelle hängen moderne Landschaften an den Wänden und ein Bild von Juliet. Sie trägt ein langes rotes Seidenkleid und sitzt in einem Sessel wie eine Lady aus dem 18. Jahrhundert, neben sich die kleine Tochter, auf dem Schoß den Sohn, der noch ein Baby ist.
    Ivor, der früher weder Hemmungen noch Unsicherheit gekannt hatte, geriet jetzt in Verlegenheit, wenn man ihn auf der Straße erkannte, besonders in Westminster, wo er ein- oder zweimal zu Fuß unterwegs war. Louise Tesham, die ihre Zusage wahr gemacht hatte, nach Ivors Heirat dem Sohn Ramburgh House zu überlassen, lebte im Verwalterhaus, das Ivor in glücklicheren Jahren manchmal den »Witwensitz« genannt hatte. Beim Einkaufen dort auf dem Land oder beim Besuch der St. Mary’s Church sei alles so viel angenehmer als in London, sagte er, die Leute unterhielten sich unbefangen mit ihm, niemand starre ihn an. In Morningford sei es genauso, und als er zufällig die Frau getroffen habe, die in der Nachwahl an seine Stelle getreten war – und zwei Jahre später den Sitz an Labour verloren hatte –, sei sie charmant und aufmerksam gewesen und habe keine Bemerkungen über seine Zeit als Abgeordneter oder seinen Sturz gemacht. Der alte Ivor hatte sich über das Verhalten seiner Mitmenschen, ihre Einstellung zu seiner Person nie Gedanken gemacht.
    Im Gegensatz zu anderen in Ungnade gefallenen Parlamentariern verschrieb er sich nicht mit Leib und Seele der Wohltätigkeit oder irgendwelchen edlen Anliegen.
    »Womöglich würde ich dann wieder Gerry Furnal über den Weg laufen«, sagte er mit einem seltenen Aufblitzen seiner alten Spottlust, »und müsste ihn fordern.«
    So eine Verrücktheit wäre ihm in seinen
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