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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk
Autoren: Barbara Vine
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Selbstmordversuch viel schlimmer sein können. Er lenkte die Presse von einer möglichen Verwicklung in den Fall um die Entführung, um Jane Atherton, die Familien Lynch und Furnal ab. Natürlich war seine Tat nicht von all dem zu trennen, aber ein paar Tage beherrschte sein Versuch, sich das Leben zu nehmen, die Schlagzeilen, dann konzentrierten sich die Artikel der Enthüllungsjournalisten, die – besonders im Guardian – meist der aktuellen Berichterstattung folgen, auf einzelne Aspekte des Falls: die Entführung (die, darüber waren sich die meisten Medien inzwischen einig, keine Entführung gewesen war), die Freundschaft zwischen Hebe Furnal und Jane Atherton, die Verbindung zur Familie Lynch, die Beziehung zu Freeman, besonders im Hinblick auf Juliet und die Invalidenrente, die womöglich gar keine Rente, sondern Schweigegeld gewesen war.
    Der parteilose Kandidat für Imberwell, Aaron Hunter, schrieb einen giftigen Artikel, in dem er Sexskandale bei den Konservativen aufzählte und geißelte. Der Form halber waren mehrere Schuldige erwähnt, aber im Wesentlichen ging es um Ivor, wobei die Erörterung dessen, was Hunter den »Ruch von Perversion« in der Entführungsgeschichte nannte, mehrere Absätze einnahm. Über seine Ehe mit Juliet verlor er kein Wort, aber andere Blätter versäumten nicht, darauf hinzuweisen, manche beglückwünschten Hunter zu seinem Mut und seiner Ehrlichkeit, eine Zeitung tadelte ihn nachdrücklich, weil er zu feige gewesen sei zu erwähnen, dass Ivor Teshams Verlobte seine erste Frau gewesen war. Dann wurde der Ruf nach einem Untersuchungsausschuss laut. Eine Kommission, bestehend aus unabhängigen Mitgliedern ohne Verbindung zur Regierung oder zur Konservativen Partei, müsse eingesetzt werden, um Klarheit in diese »unsägliche Angelegenheit« zu bringen. Und so ging es weiter, während Ivor, nur durch Schläuche mit dem Leben verbunden, im Koma lag.

31
    Wie wäre es Sean Lynch ergangen, wenn die Polizei das Tagebuch nicht gelesen hätte? Womöglich wäre er zu lebenslanger Haft verurteilt worden und hätte mindestens fünfzehn Jahre absitzen müssen. Janes Tagebuch, das Sheila Atherton schließlich der Polizei aushändigte, war seine Rettung. Die Öffentlichkeit hat natürlich nichts von diesen Aufzeichnungen erfahren, es gab keinen Aufschrei der Empörung über eine unrechtmäßige Inhaftierung. Die Polizei ließ Sean einfach laufen, schickte ihn heim zu seiner Mutter und seinem hirngeschädigten Bruder. Er war nicht der Mann, den sie gesucht hatten. Seine Verhaftung war der Auslöser für Enthüllungen über Ivor und seinen Selbstmordversuch gewesen, dabei konnte man Sean im Grunde nichts vorwerfen, abgesehen davon, dass er Jane unter Anwendung von Gewalt aus seiner Wohnung geworfen hatte, in die sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingedrungen war.
    Er verließ das Gefängnis, in dem er in Untersuchungshaft gesessen hatte, als glücklicher Mensch und beschwingt von der Aussicht auf die hunderttausend Pfund, die ihm ein Boulevardblatt für seine »erstaunlich freimütige, ja atemberaubende Story« geboten hatte. Hätte Ivors Zustand der Unterstützungszahlung ein Ende gesetzt, hätte ihm das kaum weh getan, aber Ivor leistete sie weiter, solange Dermot lebte.
    Eine Frage hat mich lange beschäftigt: Hatte Ivor sich diese Verletzung beigebracht in dem Bewusstsein, dass er durchaus daran sterben konnte, dass er aber, wenn sein Selbstmordversuch fehlschlug, womöglich in einer ähnlichen Lage sein würde wie Dermot Lynch? Hatte er eben doch ein Gewissen, sah er sich als Verursacher der Leiden und der Behinderung dieses armen Menschen und meinte, das nur dadurch wiedergutmachen zu können, dass er wurde wie er? Das sei Unfug, sagte Iris, sei sentimental, weinerlich und sähe Ivor ganz und gar nicht ähnlich. So würde sich allenfalls ein mittelalterlicher Heiliger verhalten haben.
    Die Presse war wegen des Geburtstagsgeschenks völlig aus dem Häuschen und gefiel sich in wilden Unterstellungen, überraschend zutreffenden Vermutungen und neuen Enthüllungen, die sämtlich aus phantasiebegabten Journalistenhirnen stammten. Doch die Untersuchungskommission, auf die ständig angespielt wurde, kam nie zustande, nach und nach beruhigten sich die Gemüter, und bis Ivor aus dem Koma erwachte, war der Fall in den Hintergrund getreten. Wenn Ivor doch einmal erwähnt wurde, in Leitartikeln über Sexskandale oder in aktuellen Meldungen über das Fehlverhalten irgendwelcher
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