Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
hat einen Abschiedsbrief hinterlassen — ich habe ihn auf der
Polizei eingesehen. Teile des Texts von ›The Empty Place‹ sind direkt aus dem
Brief geklaut — wahrscheinlich weil ihr Stiefvater Ricky die Passagen
eingeflüstert hat.«
    »Wer?«
    Sie zeigte in die Arena und
sagte den Namen.
     
     
    Raes Tagebuch:
     
    23 Uhr 54
     
    Der Name hatte Shar ganz schön
geschockt, aber sie fasste sich sofort wieder und erklärte mir schnell den
Plan. Donnernder Applaus erhob sich, während ich mich so unauffällig wie
möglich die Wand auf der linken Seite entlangdrückte. Shar war schon auf halbem
Weg zur Bühne. Hy arbeitete sich die gegenüberliegende Wand entlang und
informierte die Sicherheitsleute über sein Walkie-Talkie, was lief. Wir hatten
Sergeant Boyd im Security-Raum gelassen, damit er Verstärkung rief; er war
damit einverstanden gewesen, dass wir drei Ricky von der Bühne holten, ehe er
übernahm.
    Der Applaus legte sich. Ricky
spielte die ersten Akkorde von »The Empty Place«.
    Mein Puls spielte verrückt, und
mir war wieder total kalt. Ich legte einen Zahn zu.
    Er hielt inne, ließ seinen
Blick langsam über die Tribünen schweifen und sagte dann: »Dieser Song ist für
Red, wo immer sie heute Abend ist.«
    0 Gott! Das war das
Verkehrteste, was er tun konnte! Aber woher sollte er das wissen?
    Shar und Hy waren jetzt auf
ihren Plätzen.
     
    Mein
Lächeln verbirgt,
    dass
da ein Stück in mir fehlt.
    Mein
Lächeln, es wirkt,
    als
wäre da nichts, was mich quält.
     
    Schneller, Rae. Jedes Wort kann
den Kerl durchdrehen lassen!
     
    Mein
Lachen maskiert
    die
Angst und das Traurigsein.
    Mein
Lachen, es friert
    die
heilsamen Tränen ein.
     
    Die Sicherheitsleute waren in
die Treppenaufgänge zurückgetreten, damit ich vorbeikonnte, aber ganz vorn
stand noch einer auf seinem Posten. Als ich um ihn herumschlüpfen wollte,
packte er mich am Arm.
    »Lassen Sie mich los, Sie
Trottel!«
    Sein Walkie-Talkie knatterte,
und Hys Stimme sagte: »Hier ist Ripinsky. Lassen Sie sie durch.«
    Der Mann sah mich verdutzt an
und nahm die Hand weg.
    Ricky war jetzt schon mitten in
seinem Song — unserem Song. Ich bewegte mich noch schneller.
     
    Du
stehst vor mir,
    weckst
Hoffnung in mir und Bangen,
    aber
ich spür,
    die
Leere hält mich gefangen.
     
    Ich stand ihm jetzt genau
gegenüber. Shar und Hy kletterten auf den hinteren Teil der Bühne.
     
    Dein
Lächeln verbirgt,
    dass
da ein Stück in dir fehlt.
    Dein
Lächeln, es wirkt,
    als
wäre da nichts, was dich quält.
     
    Shar winkte mich näher heran.
     
    Dein
Lachen maskiert
    die
Angst und das Traurigsein.
    Dein
Lachen, es friert
    die
heilsamen Tränen ein.
     
    Niemand im Publikum beachtete
mich — aller Augen starrten gebannt auf die Musiker. Auf der Bühne bemerkte
mich niemand — sie waren alle von den Scheinwerfern geblendet.
     
    Wir
sind dran gewöhnt,
    nehmen
die Ketten in Kauf,
    nur
ab und zu lehnt
    sich
die Sehnsucht dagegen auf.
     
    Ich ging direkt auf den Mann
zu, den ich liebte und betete, dass ich rechtzeitig bei ihm sein würde.
     
    Du
liegst bei mir,
    und
mein Herz beginnt zu singen,
    und
plötzlich spür
    ich
wie die Ketten zerspringen.
     
    Ich erreichte den Bühnenrand
genau in dem Moment, als er die letzten Worte sang. Die Gitarrenklänge hingen
noch in der Luft, verhallten langsam. Dann sprangen die Leute auf, genau wie
gestern in L.A., und klatschten, johlten, pfiffen und trampelten.
    Ricky schien erstaunt über
diese extreme Reaktion. Er nahm die Gitarre ab und stellte sie weg. Wandte sich
wieder dem Publikum zu, ließ die Arme hängen, beugte den Kopf.
    Und sah mich.
    Ich streckte die Arme aus,
signalisierte ihm verzweifelt heranzukommen.
    Seine Lippen formten das Wort
»Red«, und er tat einen Schritt auf mich zu.
    Plötzlich übertönte das laute
Pfeifen eines Mikrophons das Tosen der Menge, und Patricia Terriss’ Stiefvater
brüllte los.
     
     
    23 Uhr 58
     
    Norm O’Dell brüllte: »Der Song
stimmt, aber die Widmung stimmt nicht!«
    Ich hatte bereits sprungbereit
auf der Bühne gekauert, als er das Mikro ergriffen hatte. Jetzt winkte ich Hy,
der sich auf der anderen Seite versteckte, näher heran. Ricky hatte einen
Schritt auf Rae zu gemacht. Jetzt verharrte er reglos.
    Die Menge wurde jäh still. Dann
erhob sich wirres Gemurmel. Plötzlich schien alles in Zeitlupe abzulaufen,
genau wie in dem Haus in San Diego, nach dem Schuss. Ich sah es alles deutlich
vor mir: O’Dell, wie er sich an Rickys Leadgitarristen Dan heranmachte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher