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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar
Autoren: Patricia Cornwell
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mich und nickte. In seinem Straßenanzug und mit dem Schnurrbart, der wie der erste Versuch eines Teenagers wirkte, männlich auszusehen, vermittelte er nicht gerade den Eindruck eines erfahrenen Beamten - und auch sein Eifer deutete mehr auf ein »Greenhorn« hin.
    »Viel wissen wir noch nicht«, erklärte er in einem Ton, als teile er mir damit etwas ungeheuer Wichtiges mit. »Der Jeep gehört Deborah Harvey. Sie und ihr Freund - äh - Fred Cheney verließen das Haus der Harveys gestern abend gegen acht. Sie wollten nach Spindrift, wo die Harveys ein Strandhaus haben.«
    »War Deborahs Familie zu Hause, als die beiden abfuhren?« fragte ich.
    »Nein, Ma'am.« Die Brillengläser starrten mich an wie Insektenaugen. »Die anderen waren schon vorausgefahren. Deborah und der Junge nahmen ihren Wagen, weil sie am Montag wieder zurückwollten: Sie studieren im zweiten Jahr in Carolina.«
    »Bevor sie aufbrachen«, Marino zog seine Zigaretten aus der Tasche, »sagten sie in Spindrift Bescheid, daß sie zwischen Mitternacht und ein Uhr früh dasein würden. Den Anruf nahm einer von Deborahs Brüdern entgegen. Als sie um vier noch immer nicht eingetroffen waren, rief Pat Harvey die Polizei an.«
    »Par Harvey?« Ich starrte ihn ungläubig an.
    »O ja«, antwortete Officer Morrell statt seiner. »Diesmal haben wir es mit der Prominenz zu tun. Mrs. Harvey ist bereits auf dem Weg hierher. Vor ungefähr«, er schaute auf seine Uhr, »einer halben Stunde hat ein Hubschrauber sie abgeholt. Ihr Mann - äh - Bob Harvey, ist geschäftlich in Charlotte. Er wollte irgendwann morgen zurückkommen. Soviel ich weiß, hat man ihn noch nicht erreichen können.«
    Pat Harvey war der Kopf der staatlichen Anti-Drogen-Politik, was ihr bei den Medien die Bezeichnung »Drogen-Zarin« eingebracht hatte. Vom Präsidenten persönlich eingesetzt und vor kurzer Zeit auf der Titelseite des Time Magazine, war sie eine der mächtigsten und bewundertsten Frauen Amerikas.
    »Was ist mit Benton?« fragte ich Marino. »Weiß er, daß Deborah Harvey Pat Harveys Tochter ist?«
    »Keine Ahnung - gesagt hat er nichts. Aber wir haben auch nur ganz kurz miteinander gesprochen. Als er anrief, war er grade in Newport News gelandet und wollte sich schnellstens einen Mietwagen besorgen.«
    Damit war meine Frage beantwortet: Das FBI hätte Benton Wesley nicht eingeflogen, wenn ihm nicht bekannt wäre, um wessen Tochter es sich bei dem vermißten Mädchen handelte. Merkwürdig, daß er es Marino gegenüber nicht erwähnt hatte - immerhin war er sein VICAP-Partner. Ich versuchte in Marinos Gesicht zu lesen, wie er dieses Verhalten empfand. Vergeblich. Lediglich seine spielenden Kiefermuskeln deuteten darauf hin, daß er unter Spannung stand. Auf der beginnenden Glatze über dem vollen Gesicht glänzten Schweißperlen.
    »Ich habe zunächst mal jede Menge Männer herbeordert, um den Verkehr fernzuhalten«, resümierte Morrell. »Wir haben die Toilettenhäuschen überprüft und uns ein bißchen umgesehen, um ausschließen zu können, daß die jungen Leute sich in der unmittelbaren Umgebung befinden. Sobald die Hunde eintreffen, nehmen wir uns den Wald vor.«
    Unmittelbar hinter der Kühlerhaube des Jeeps begann ein Gewirr aus Unterholz und Bäumen, das so dicht war, daß man nur eine Blätterwand sah. In einiger Entfernung zog ein Habicht seine Kreise über den Wipfeln. Obwohl Einkaufszentren und Wohnviertel sich immer weiter an der I-64 entlangzogen, war dieser Streifen zwischen Richmond und Tidewater noch unberührt. Die schöne Gegend wirkte heute trotz des Sonnenscheins düster und bedrückend.
    »Scheiße!« fluchte Marino inbrünstig, als Morrell sich entfernt hatte.
    Wir begannen langsam nebeneinander herzugehen. »Tut mir leid um Ihren Angelausflug«, sagte ich.
    »Na ja-so geht's doch immer, stimmt's? Ich habe den verdammten Trip schon seit Monaten geplant. Wieder nichts. Wie üblich.«
    »Mir ist etwas aufgefallen«, wechselte ich das Thema. »Wenn man die I-64 verläßt, teilt sich die Abfahrt sofort in zwei Spuren: Die eine führt nach hier, die andere zum vorderen Teil des Rastplatzes, der für Pkw reserviert ist. Mit anderen Worten: Es sind Einbahnstraßen. Wenn man sich einmal entschieden hat, welches Areal man ansteuern will, kann man es nicht mehr rückgängig machen, ohne eine beträchtliche Strecke in falscher Richtung zu fahren und Gefahr zu laufen, mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammenzuprallen - und gestern abend war hier bestimmt massenhaft
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