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Das fünfte Paar

Das fünfte Paar

Titel: Das fünfte Paar
Autoren: Patricia Cornwell
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aufwachte, graute mir vor der Zeitung.
    Die Schlagzeile war so groß, daß man sie aus einem Block Entfernung hätte lesen können:
    TOCHTER DER »DROGEN-ZARIN«. UND FREUND VERMISST - POLIZEI BEFÜRCHTET VERBRECHEN
    Nicht nur hatten die Reporter ein Bild von Deborah Harvey aufgetrieben, es gab auch eine Aufnahme davon, wie der Jeep abgeschleppt wurde, und ein Archivfoto von Bob und Pat Harvey, das die beiden Hand in Hand bei einem Strandspaziergang in Spindrift zeigte. Während ich den Artikel las und nebenbei an meinem Kaffee nippte, mußte ich an die Familie von Fred Cheney denken. Der junge gehörte nicht zur Prominenz - würde er allein vermißt, stünde die Meldung irgendwo klein unter »Vermischtes« - doch seine Leute machten sich mit Sicherheit ebensolche Sorgen wie die Harveys.
    Fred war offenbar der Sohn eines Geschäftsmannes von der Southside - ein Einzelkind, dessen Mutter im vergangenen Jahr gestorben war, als ein Aneurysma in ihrem Gehirn platzte. Dem Bericht zufolge war Freds Vater derzeit bei Verwandten in Sarasota, wo die Polizei ihn endlich am vergangenen Abend erreicht hatte die Möglichkeit, daß sein Sohn mit Deborah durchgebrannt sei, bezeichnete Mr. Cheney als höchst unwahrscheinlich, da ein solches Verhalten Freds Charakter völlig zuwiderlaufe. Der junge galt als fleißiger Student und war Mitglied des Uni-Schwimmteams. Deborah strebte einen akademischen Grad mit Auszeichnung an und war eine hochbegabte Leichtathletin, die zu olympischen Hoffnungen berechtigte. Sie wog knapp hundert Pfund, hatte schulterlanges, dunkelblondes Haar und die feinen Züge ihrer Mutter. Fred war breitschultrig und schlank, mit welligen, schwarzen Haaren und haselnußbraunen Augen. Sie wurden als attraktives Paar beschrieben - und als unzertrennlich. »Man sah nie den einen ohne den anderen«, wurde ein Freund zitiert. »Und der Tod seiner Mutter schweißte die beiden noch fester zusammen. Ich weiß nicht, wie er ihn ohne Debbies Hilfe verkraftet hätte.«
    Natürlich folgte im Anschluß an den aktuellen Bericht eine Zusammenfassung der vier Fälle der Pärchen, die vermißt und später tot aufgefunden worden waren. Mehrere Male fiel mein Name. Ich wurde als »frustriert«, »ratlos« und »unkommunikativ« bezeichnet. Natürlich konnte der Schreiber nicht nachfühlen, wie es war, Tag für Tag Opfer von Morden, Selbstmorden und Unfällen zu obduzieren. Es gehörte für mich ebenso zur Routine, wie mit Familien zu sprechen, vor Gericht als Zeugin auszusagen und Vorträge vor Sanitätern und auf Polizeiakademien zu halten. Ich war vom Küchentisch aufgestanden und starre in den sonnigen Morgen hinaus, als das Telefon klingelte., Wahrscheinlich ist es Ma, dachte ich: Sie rief oft sonntags um diese Zeit an, um mich zu fragen, wie es mir gehe und ob ich in der Kirche gewesen sei. Also nahm ich meinen Kaffee, setzte mich bequem zurecht und hob den Hörer ab.
    »Dr. Scarpetta?«
    »Am Apparat.« Eine Frau. Ich kannte sie - aber woher?
    »Pat Harvey. Bitte verzeihen Sie, daß ich Sie zu Hause belästige.«
    »Sie belästigen mich ganz und gar nicht«, erwiderte ich freundlich. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Die Männer haben die ganze Nacht da draußen gesucht, und sie sind noch dort. Es wurden noch mehr Beamte eingesetzt - und weitere Hubschrauber und zusätzliche Hunde.« Sie sprach immer schneller. »Nichts. Keine Spur von den beiden. Bob hat sich der Suchmannschaft angeschlossen. Ich sitze ganz allein hier. Wäre es Ihnen...« Sie zögerte. »Wäre es möglich, daß Sie herüberkämen - vielleicht zum Mittagessen?«
    Nach einer langen Pause stimmte ich zu. Als ich den Hörer auflegte, haderte ich bereits mit mir, denn ich wußte genau, was auf mich zukommen würde: Pat Harvey würde mich nach den anderen Paaren ausfragen wollen. An ihrer Stelle täte ich das auch. Ich ging ins Schlafzimmer hinauf und zog meinen Morgenrock aus. Dann nahm ich ein langes, heißes Bad und wusch mir die Haare, während der Automat Anrufe aufnahm, die ich nur erwidern würde, wenn es sich um Notfälle handelte. Eine Stunde später schlüpfte ich in ein khakifarbenes Leinenkostüm, lief hinunter und hörte die Aufzeichnungen ab: Fünf Anrufer- ausnahmslos Reporter, die erfahren hatten, daß ich zu dem Rastplatz in New Kent County gerufen worden war, was sie als unheilverheißend interpretierten.
    Ich griff zum Telefon, um Pat Harvey abzusagen - doch dann sah ich sie wieder vor mir, wie sie aus dem Hubschrauber stieg, die Tüte mit dem
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