Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
rundherum mit Decken, in die gewärmte Steine gewickelt waren. Cadfael suchte vorsichtig nach gebrochenen Knochen, richtete den linken Unterarm ein, der bei der Berührung geknirscht hatte, und verband ihn. Immer noch zeigte sich keine Regung im Gesicht des Verletzten. Cadfael tastete vorsichtig Haluins Kopf ab, bevor er die blutende Wunde säuberte und versorgte, doch er konnte nicht feststellen, ob der Schädel gebrochen war. Der kratzende, schnarchende Atem sprach dafür, aber man konnte nicht sicher sein. An den gebrochenen Füßen und Knöcheln arbeitete Cadfael noch lange, nachdem sie Bruder Haluin mit gewärmten Decken vor dem Kältetod bewahrt hatten. Sein Körper lag in jeder Richtung gerade und abgesichert, um den Schock und die Schmerzen der Bewegungen zu mildern, wenn er wieder zu sich kam. Niemand glaubte wirklich daran, nur ein geheimer Rest einer festen Hoffnung ließ sie sich anstrengen, um den ersterbenden Funken zu nähren.
    »Er wird nie wieder gehen können«, meinte Bruder Edmund, als er schaudernd die zerschmetterten Füße betrachtete, die Cadfael umständlich badete.
    »Nicht ohne Hilfe«, stimmte Cadfael düster zu. »Und nicht mit diesen Beinen.« Dennoch setzte er die zertrümmerten Überreste so gut er konnte zusammen.
    Lange, schmale und elegante Füße hatte Bruder Haluin gehabt, passend zu seinem schlanken Körperbau. Die tiefen, bösen Schnitte, die ihm die Schieferplatten zugefügt hatten, gingen stellenweise bis zu den Knochen hinunter und hatten an einigen Stellen sogar die Knochen splittern lassen. Es dauerte eine lange Zeit, die blutigen Bruchstücke zu entfernen und jeden Fuß so einzuwickeln, daß er zumindest entfernt einem menschlichen Fuß ähnelte. Dann wurden eilig improvisierte Hauben aus Fell, von innen gut gepolstert, über die Füße geschoben, damit sie stillgelegt waren und bei der Heilung dem, was sie einst gewesen waren, möglichst nahe kommen konnten. Dies natürlich nur, falls es überhaupt eine Heilung gab.
    Die ganze Zeit über lag Bruder Haluin schmerzvoll schnarchend, ohne zu bemerken, was mit ihm getan wurde, tief bewußtlos und jenseits der Lichter und Schatten dieser Welt.
    Schließlich verflachte sein Atem zu einem leisen Wispern, nicht mehr als das Beben eines einsamen Blattes in einem kaum wahrnehmbaren Hauch. Sie dachten schon, er sei von ihnen gegangen, doch so schwach die Bewegungen auch waren, das Blatt hörte nicht auf, sich zu regen.
    »Ruft mich sofort, wenn er einen Augenblick zu sich kommt«, sagte Abt Radulfus und überließ ihnen die Krankenwache.
    Bruder Edmund mußte etwas Schlaf finden. Cadfael teilte sich die Nachtwache mit Bruder Rhun, dem neuesten und jüngsten Chormönch. Zu beiden Seiten des Bettes saßen sie und starrten unverwandt den ohnmächtigen Bruder an, der, gesalbt, gesegnet und für den Tod gewappnet, in tiefem Schlaf lag.
    Es war viele Jahre her, daß Haluin aus Cadfaels Reich entlassen und zur Arbeit in der Gaye eingeteilt worden war.
    Cadfael betrachtete mit großer Aufmerksamkeit die Gesichtszüge des Mannes, deren Einzelheiten er fast vergessen hatte, und fand sie nun zugleich verändert und anrührend vertraut. Bruder Haluin war kein großer Mann, kaum größer als das Mittelmaß. Er hatte lange, zarte und wohlgeformte Knochen, mehr Sehnen und weniger Fleisch als zu der Zeit, da er als noch nicht ausgewachsener Junge, der die Mannesblüte erst noch erreichen sollte, ins Kloster gekommen war. Fünfunddreißig oder sechsunddreißig mußte er jetzt sein, damals war er kaum achtzehn gewesen und hatte noch die weiche Haut und das Strahlen des Kindes an sich gehabt. Sein Gesicht war länglich und oval, die Wangenknochen und Kiefer waren kräftig und gut ausgebildet, die schmalen, geschwungenen Augenbrauen fast schwarz, eine Spur dunkler als das krause dunkle Haar, dessen größten Teil er der Tonsur geopfert hatte. Jetzt war sein Gesicht kreidebleich, die Wangen waren eingefallen und die geschlossenen Augen lagen in tiefen Höhlen, die blau waren wie Schatten im Schnee. Auch um die schmalen Lippen bildete sich, während sie ihn beobachteten, ein bläulicher, kranker Schimmer. In den Stunden nach Mitternacht, wenn das Leben am zerbrechlichsten ist, würde sich die Waagschale in diese oder jene Richtung neigen.
    Auf der anderen Seite des Bettes kniete Bruder Rhun, aufmerksam aber durch den nahen Tod eines anderen ebensowenig eingeschüchtert, wie er es eines Tages durch seinen eigenen sein würde. Im Dämmerlicht zwischen den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher