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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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anfing obszön zu finden, in dieser Exhibition von Diesel-Genitalien, Turbinen-Vaginen, anorganischen Rachen, die zu ihrer Zeit gerülpst hatten — und vielleicht in dieser Nacht wieder rülpsen würden mit Flammen, Qualm und Geheul, oder die gefühllos brummten wie Hirschkäfer oder zirpten wie Zikaden, zwischen diesen skelettierten Manifestationen einer puren abstrakten Funktionalität, diesen Automaten, gemacht zum Zerquetschen, Zersägen, Zerbrechen, Zer-schneiden, fähig zu beschleunigen, zu stocken, aufzuheulen, zu ächzen, sich zu zergliedern wie beschädigte Marionetten, Trommeln zu wirbeln, Frequenzen zu konvertieren, Energien zu transformieren, Schwungräder sausen zu lassen... wie sollte ich da überleben? Sie würden mich angreifen, aufgestachelt von den Herren der Welt, die sie so gewollt hatten, um vom Irrtum der Schöpfung zu sprechen, als unnütze Apparate, Idole der Herren des niederen Universums — wie würde ich ihnen widerstehen können, ohne zu schwanken?
    Ich mußte weg hier, weg hier, es war alles ein Wahnsinn, ich war drauf und dran, demselben Spiel zu verfallen, das Jacopo Belbo um den Verstand gebracht hatte, ich, der Un-gläubige...
    Ich weiß nicht, ob ich vorgestern abend gut daran tat zu bleiben. Andernfalls wüßte ich heute zwar den Anfang, nicht aber das Ende der Geschichte. Oder ich wäre nicht hier, wie ich es nun bin, einsam auf diesem Hügel, während drunten im Tal die Hunde bellen, allein mit der Frage, ob dies wirklich das Ende war, oder ob das Ende noch kommen muß.
    Ich beschloß weiterzusuchen. Durch einen Seitenausgang 19
    hinter der Statue von Gramme gelangte ich in eine Galerie.
    Es war die Eisenbahnabteilung, und die kleinen bunten Modelle von Lokomotiven und Zügen kamen mir wie beruhigendes Spielzeug vor, wie Teile eines Landes Bengodi, eines Madurodam, eines Märchenparks oder Disneyland... Langsam gewöhnte ich mich an diesen Wechsel von Angst und Zuversicht, von Schrecken und Ernüchterung (ist dies nicht ein Prinzip der Krankheit?), und sagte mir, daß die Visionen in der Kirche mich so verwirrt haben mußten, weil mir noch immer die Aufzeichnungen von Jacopo Belbo im Kopf her-umgingen, die ich unter Aufbietung so vieler Mühen dechiffriert hatte — wobei ich doch wußte, daß sie pure Einbil-dung waren. Ich war in einem Museum der Technik, sagte ich mir, du bist in einem Museum der Technik, das ist eine reelle Sache, vielleicht ein bißchen stupide, aber ein Reich von harmlosen Toten, du weißt, wie Museen sind, niemand ist je von der Mona Lisa verschlungen worden — androgynes Monster, Medusa nur für die Ästheten —, und du wirst schon gar nicht von der Wattschen Dampfmaschine verschlungen, die bloß die romantisch-neugotischen Aristokraten erschrecken konnte — und eben deshalb erscheint sie dir so pathetisch unentschieden zwischen Funktion und korin-thischer Eleganz, Hebel und Kapitell, Kessel und Säule, Rad und Tympanon. Jacopo Belbo, so fern er auch sein mochte, suchte mich in die halluzinatorische Falle hineinzuziehen, die sein Verhängnis geworden war. Ich mußte mich, sagte ich mir, wie ein Wissenschaftler benehmen. Verbrennt etwa der Vulkanologe wie Empedokles? Floh Frazer gehetzt aus dem Hain von Nemi? Also reiß dich zusammen, du bist Sam Spade, okay? Du mußt nur die Unterwelt erkunden, ganz professionell. Die Frau, die dich einfängt, muß vor dem Ende sterben, und möglichst durch deine Hand. So long, Emily, es war schön, aber du warst ein herzloser Automat.
    Doch wie sich’s trifft, folgt auf die Galerie der Eisenbahnen der Hof Lavoisiers, von dem aus die große Treppe zum Oberstock führt.
    Dieses Spiel der Vitrinen an den Wänden, dieser Alchimi-stenaltar im Zentrum, diese Liturgie im Stil einer zivilisierten Barock-Macumba — das war nicht Zufall, das war symbolisches Stratagem.
    20
    Zunächst die Vielfalt der Spiegel. Wo ein Spiegel ist, da ist ein menschliches Stadium, du willst dich sehen. Und hier siehst du dich nicht. Du suchst dich, suchst deine Position in dem Raum, in dem dir der Spiegel sagt: »Du bist da, du bist du«, und du plagst dich, du mühst dich ab, denn die Spiegel von Lavoisier, ob konkav oder konvex, enttäuschen dich, narren dich: du trittst zurück und findest dich, du bleibst stehen und verlierst dich. Dieses katoptrische Theater ist erdacht worden, um dir jede Identität zu nehmen und dich an deinem Ort zweifeln zu lassen. Wie um dir zu sagen: Du bist weder das Pendel noch der Ort des Pendels. Und du zweifelst
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