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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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einem Schulwissen, das ihm die Fähigkeit zum Staunen vernebelt hatte, sie träge, unerreichbar für den Schauder des Unendlichen, beide unberührt von der Schrek-kenserfahrung dieser ihrer Begegnung der ersten und letzten — mit dem Einen, dem En-Sof, dem Unsagbaren.
    Wie war es möglich, nicht auf die Knie zu fallen vor dem Altar der Gewißheit?
    Ich schaute ehrfürchtig und beklommen. In diesem Moment war ich überzeugt, daß Jacopo Belbo recht gehabt hatte. Als er mir von dem Pendel erzählte, hatte ich seine Erregung einer ästhetischen Schwärmerei zugeschrieben, jenem Krebsgeschwür, das langsam, unförmig, in seiner Seele Gestalt anzunehmen begann, indem es Schritt für Schritt, ohne daß er es merkte, sein Spiel in Realität verwandelte. Doch wenn er mit dem Pendel recht gehabt hatte, dann war ja vielleicht auch alles andere wahr, der Große Plan, das Universale Komplott, und es war richtig gewesen, daß ich hergekommen war, am Abend vor der Sommersonnwende. Jacopo Belbo war nicht verrückt, er hatte einfach beim Spielen, durch das Spiel, die Wahrheit entdeckt.
    Und die Erfahrung des Numinosen hält man nicht lange aus, ohne den Verstand zu verlieren.
    Ich versuchte den Blick vom Pendel zu lösen, indem ich der Kurve folgte, die von den Kapitellen der im Halbkreis angeordneten Säulen längs der Gewölberippen zum Schluß-
    stein verlief, womit sie das Wunder des Spitzbogens wiederholte, der sich auf einer Abwesenheit errichtet, höchste statische Hypokrisie, und der die Säulen glauben macht, sie stemmten die Rippen nach oben, und diese, vom Schlußstein zurückgewiesen, sie drückten die Säulen fest auf den Boden, während doch das Gewölbe in Wahrheit ein Alles und Nichts ist, Wirkung und Ursache gleichzeitig. Doch bald wurde mir bewußt, daß eine Vernachlässigung des Pendels, 12
    das vom Gewölbe hing, um statt dessen das Gewölbe zu bewundern, so viel war wie ein Verzicht auf den Trunk aus der Quelle, um sich statt dessen am Bach zu berauschen.
    Das Chorgewölbe von Saint-Martin-des-Champs existierte nur, weil dort kraft des Gesetzes das Pendel existieren konnte, und dieses existierte nur, weil jenes existierte. Niemand entflieht dem Unendlichen, sagte ich mir, während ich zu einem anderen Unendlichen floh, niemand entgeht der Offenbarung des Identischen, wenn er sich einbildet, dem Dif-ferenten begegnen zu können.
    Ohne den Blick vom Schlußstein des Gewölbes lösen zu können, trat ich langsam zurück, Schritt für Schritt — denn als ich vorhin hereingekommen war, hatte ich mir den Weg gut eingeprägt, und die großen Schildkröten aus Metall, die da rechts und links an mir vorbeizogen, waren imposant genug, um aus den Augenwinkeln wahrgenommen zu werden. Ich ging rückwärts durch das Langschiff der Kirche zum Eingang, und erneut hingen über mir jene drohenden prähistotischen Vögel aus rissiger Leinwand und rostigen Drähten, jene bösartigen Libellen, die ein verborgener Wille dort von der Decke hatte herabhängen lassen. Sie kamen mir vor wie Metaphern der Weisheit, viel bedeutungsvoller und anspielungsreicher, als der didaktische Vorwand sie gemeint zu haben vorgeben mochte. Flug von Insekten und Reptilien der Jurazeit, Allegorie der langen Wanderungen, die das Pendel am Boden resümierte, Archonten, perverse Emanationen — jawohl, das waren sie, die da über mir hingen mit ihren langen Archaeopteryx-Schnäbeln, die Flugzeuge von Breguet, Blériot, Esnault und der Helikopter von Dufaux.
    So betritt man tatsächlich das Conservatoire des Arts et Mé-
    tiers in Paris, nachdem man einen barocken Hof durchquert hat und in die alte Abteikirche tritt, die in den späteren Gebäudekomplex eingebaut ist, wie sie einst in das ursprüngliche Priorat eingebaut war. Man tritt ein und ist geblendet von dieser Verschwörung, die das höhere Universum der himmlischen Wölbungen mit der chthonischen Welt der Mineralölfresser verbindet.
    Unten reihen sich alte Automobile, Zweiräder und Dampfwagen, oben hängen die Flugzeuge der Pioniere, manche 13
    Objekte sind noch intakt, wenn auch verschlissen und zer-nagt von der Zeit, und alle gemeinsam erscheinen im teils natürlichen, teils elektrischen Zwielicht wie überzogen mit einer Patina, mit dem Lack alter Geigen; manche sind nur noch Skelette, Chassisgerippe, wirre Gestänge und Hebel-werke, die unsägliche Torturen androhen, schon siehst du dich angekettet an jene Streckbetten, wo sich etwas bewegen und sich dir ins Fleisch bohren könnte, bis du
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