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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel
Autoren: Umberto Eco
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bringen über das, was er erfindend enthüllte, wie Newton, der güldene Ritter, der so mächtig die Schwingen spreizte, aber fortfuhr, über die Kabbala und die qualitativen Essenzen zu meditieren?
    Der Saal Lavoisier des Conservatoire ist ein Bekenntnis, eine chiffrierte Botschaft, eine Kurzfassung des Conservatoire insgesamt, ein Hohn auf den Stolz des starken Denkens der modernen Vernunft, ein Raunen von anderen Mysterien. Jacopo Belbo hatte recht, oui, il avait raison, und die Raison hatte unrecht.
    Ich mußte mich sputen, die Zeit drängte. Hier das Meter, das Kilo und die anderen Urmaße, falsche Garantien der Garantie. Ich hatte es von Agliè erfahren: das Geheimnis der Pyramiden enthüllt sich nur, wenn man es nicht in Metern, sondern in alten Ellen berechnet. Hier die Rechenmaschi-nen, trügerischer Triumph des Quantitativen, in Wahrheit Verheißung der verborgenen Qualitäten der Zahlen, Rückkehr zu den Ursprüngen des Notarikon der Rabbiner auf der Flucht durch die Länder Europas. Astronomie, Automaten, Uhren — wehe, wenn ich mich bei diesen neuen Offenbarungen aufhielt! Ich war dabei, ins Zentrum einer Geheimbotschaft einzudringen, die sich mir in Gestalt eines nationa-listischen Theatrums darbot — rasch weiter, dies hier konnte ich später erkunden, zwischen der Schließung und Mitternacht, diese Objekte, die im schrägen Licht der Abends ihr wahres Gesicht annahmen: Figuren, nicht Instrumente.
    Hinauf, durch die Säle der Werkzeugmaschinen, der Ener-giegewinnung, der Elektrizität, in diesen Vitrinen würde ich mich ohnehin nicht verstecken können. Mehr und mehr, während ich den Sinn dieser Sequenzen entdeckte oder er-23
    ahnte, überfiel mich die Angst, nicht rechtzeitig ein Versteck zu finden, um der mitternächtlichen Offenbarung ihrer geheimen Ratio beizuwohnen. Schon bewegte ich mich wie ein Gehetzter, gehetzt von der Uhr, vom erbarmungslosen Vor-marsch der Zahlen. Die Erde drehte sich unerbittlich, die Stunde kam, bald würden sie mich hinausjagen.
    Dann aber gelangte ich, nachdem ich die Galerie der Elektro-anlagen passiert hatte, zum Saal der Glasarbeiten. Welche Unlogik hatte gewollt, daß nach den avanciertesten und auf-wendigsten Apparaturen der modernen Ingenieurskunst eine Zone kam, die für Techniken reserviert war, mit denen schon die alten Phönizier hantiert hatten, vor Jahrtausenden? Der Saal bot eine Kollektion von chinesischem Porzel-lan im Wechsel mit androgynen Vasen von Lalique, Poteri-en, Fayencen, Majoliken, Muranogläser — und im Hintergrund, in einer enormen Wandvitrine, in Naturgröße und in drei Dimensionen, die Figur eines Löwen, der eine Schlange tötete. Was sollte die hier? Der scheinbare Grund ihrer Anwesenheit war, daß die ganze Gruppe aus farbigem Glas bestand, doch der emblematische Grund mußte ein anderer sein... Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich dieses Bild schon einmal gesehen hatte. Dann fiel es mir ein: der Demiurg, der verhaßte Sproß der Sophia, der erste Archont, Jalda-baoth, der Verantwortliche für die Welt und ihren Grund-fehler, er hatte die Gestalt einer Schlange und eines Löwen, und seine Augen sprühten ein feuriges Licht. Vielleicht war das ganze Conservatoire ein Abbild jenes infamen Prozesses, durch den aus der Fülle des Urprinzips, woher das Pendel kommt, und aus dem Glanz des Pleroma, von Äon zu Äon die Achtheit zerbröckelt und man zum kosmischen Reich gelangt, wo das Böse herrscht. Aber dann wollten mir jene Schlange und jener Löwe sagen, daß meine Initiations-reise — leider à rebours — nun zu Ende ging und ich die Welt wiedersehen würde, nicht so, wie sie sein soll, sondern so, wie sie ist.
    In der Tat bemerkte ich in der rechten Ecke des Saales, an einem Fenster, den mannshohen Guckkasten des Periskops.
    Ich trat ein. Vor mir befand sich eine schräge Glasscheibe ähnlich einem Armaturenbrett, auf der sich die Bilder eines Films bewegten, sehr verschwommen, eine Stadtszenerie.
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    Ich sah mich um und bemerkte, daß die Bilder von einem anderen Schirm projiziert wurden, der schräg hinter mir über meinem Kopf angebracht war und auf dem sie umgekehrt erschienen. Und dieser zweite Schirm entpuppte sich als das Okular eines primitiven Periskops, das aus zwei hohen langen Kästen bestand, die in stumpfem Winkel inein-andergefügt waren, wobei der längere Kasten wie ein Rohr aus dem Guckkasten hinausragte, schräg hinter mir nach oben bis hinauf zu einem Dachfenster, durch welches er die Bilder von draußen
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